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Zenjanischer Lotus (German Edition)

Zenjanischer Lotus (German Edition)

Titel: Zenjanischer Lotus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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ein körperlicher Schlag. Das letzte, was er wahrnahm, bevor er zu Boden ging und stumm weinend zu seinem Lager kroch, war, dass Geryims Wangen sich gerötet
hatten und seine Raubtieraugen erstaunlich dunkel werden konnten.

Grenzen
    „Ich kann nicht mehr. Ich will das nicht mehr ...“
    „Bjeller heris, sal pænen ghcrader. Nunen, dulgærer hi aj siner.“
Armes Kind, du musst kämpfen. Lass mich dich trösten.
    „Nein! Ich will nicht mehr. Es tut weh. Es beißt in meinem Kopf.“
    „Dulgærer hi dys aj menjørger.“
Lass mich für dich singen.
    „Sei still! Sei einfach still! Verschwinde ... geh weg!“
    Die Spinnenfäden in seinen Händen waren dunkelrot, brüchig und klebten nicht. Aber dafür brannte seine Kopfhaut, wenn er daran zog. Aber was war eine schmerzende Kopfhaut
gegen den Irrsinn hinter seiner Stirn, gegen die reißenden Schmerzen in seinem Unterbauch, gegen das brutale Scheuern seiner Hosen auf seiner überempfindlichen Haut?
    Überreizt kniete Sothorn in der hinteren Ecke der Zelle, das wunde Gesicht an die Wand gepresst. Unfähig, sich zu bewegen. Unfähig, sich zusammenzunehmen.
    Er konnte nur seine unsichtbaren Peiniger anschreien. Vor Schmerzen, aus Angst vor dem Wahnsinn, der auf leisen Pfoten um ihn herumschlich. Und aus Müdigkeit.
    In der Nacht hatte er keinen Schlaf gefunden, war zu aufgebracht und zornig gewesen, ohne zu wissen, auf wen sich seine Wut richtete. Der Hass brach ungezügelt aus ihm hervor, kannte weder
Ziel noch Zweck und verbrannte seinen Verstand zu Asche.
    Knochen auf Stein.
    Es gab Augenblicke, in denen er nicht wusste, wo er sich befand, was er hier tat oder auch nur, wie er hieß.
    Dann wieder war er mehr Sothorn, als er sein wollte. Wenn die Erinnerungen geifernd über ihn herfielen, wenn er seine Unterarmklingen flüsternd aus ihren Scheiden gleiten hörte
und wusste, dass sie sich ihren Weg zwischen Fleisch und Knochen bahnen würden. Er spürte den Widerstand in der Schulter, der seinen Arm durchzuckte, wenn er den Stich nicht
sorgfältig ausführte und die Waffe über einen Rippenbogen schabte, statt sauber in den dem Tode geweihten Körper einzutauchen.
    Knochen auf Stein.
    Gnade war ihm fremd gewesen. Er hatte getan, was von ihm erwartet wurde – und mehr, wenn ihm danach zumute war.
    Mitleid hatte er nicht empfinden können. Er hatte nicht einmal gewusst, was Mitleid war, denn auch ihm gegenüber zeigte niemand Gnade, Mitgefühl, Verständnis. Es gab nur ihn
und seinen Körper, der sich nach dem Lotus verzehrte.
    Jetzt. Damals. Morgen. Für immer.
    Haut platzte.
    Sothorns Hals schmerzte. Längst schrie er wortlos seine Schmerzen in die Umarmung der Felsen hinein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm seine Stimme versagte und selbst dieser Trost
schwand.
    Wenn er nur schlafen könnte. Schlafen, bis es vorbei war. Schlafen, bis er zu Kräften gekommen war. Aber er konnte nicht.
    Zähes Sekret verseuchte seine Mundhöhle; nur noch entfernt als Speichel zu erkennen. Seine Atemwege waren ausgetrocknet, schmerzten, knisterten geradezu, wenn er gierig Luft holte und
nicht wusste, warum er sich Mühe gab zu atmen.
    Blut auf Stein.
    Er konnte nicht mehr.
    Schmerzender Knochen auf rotem Stein.
    „Was denkst du, was du da tust?“
    Sothorn kannte die Stimme, mochte sie inzwischen recht gern, war froh, dass sie hinter ihm auftauchte, und hasste sie zugleich.
    Geryim. Gestern hatte es einen Vorfall gegeben. Es war nicht wichtig. Nichts war wichtig außer dem Gedanken, dass er nicht mehr konnte. Versagt. Sothorn versagte. Vielleicht zum ersten
Mal.
    Sacht wiegte er sich vorwärts, drückte sich tiefer in die Ecke, schlug den Kopf gegen den Fels.
    Haut auf Stein.
    „Komm, lass das sein.“
    Die Hände auf seinen Schultern waren warm und fest. Griffen nach ihm. Zerrten an ihm. Zogen ihn aus dem Schutz seiner Nische heraus, wollten ihn auf die Beine reißen. Aber er konnte
nicht stehen. Wollte nicht stehen. Wollte sich nicht dem Trost der Wand entziehen. Solange seine Schmerzen zwischen ihm und den Felsen blieben, konnte er es schaffen. Vielleicht.
    „Bjeller heris.“
Armes Kind.
    „Schweig!“, brüllte Sothorn hysterisch. „Verschwinde, lass mich in Ruhe! Ich bringe dich um, wenn ich dich kriege, ich bringe dich um!“
    „Als wärst du dazu in der Lage“, murrte es hinter ihm.
    Ein Arm schlang sich um Sothorns Brust und behinderte seine Atmung. Außerdem schmerzte die Berührung. Es tat weh. Alles tat weh. Jeder Zoll Haut, jedes Härchen, jede

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