Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Rippen brechen hören, als … als sie …« Charlotte war kreidebleich. »Würdest du so etwas unterschreiben?«, flüsterte sie.
Die gleiche Frage, wenn auch nicht mit so vielen Worten, hatte sie mir schon vor deiner Geburt gestellt. Es war der Tag nach der Ultraschalluntersuchung in der siebenundzwanzigsten Woche, als ich sie zu Gianna Del Sol und ihrem Team für Hochrisikoschwangerschaften ins Krankenhaus geschickt hatte. Ich war eine gute Geburtshelferin, aber ich kannte auch meine Grenzen, und ich konnte Charlotte nicht die Fürsorge zukommen lassen, die sie jetzt brauchte. Allerdings war sie von einem Genetiker traumatisiert worden, dessen Verhalten gegenüber Patienten mehr zu solchen passte, die bereits in der Leichenhalle lagen, und jetzt musste ich den Schaden beheben, weil Charlotte auf meiner Couch schluchzte.
»Ich möchte nicht, dass sie leidet«, sagte Charlotte.
Ich wusste nicht, wie ich um das Thema eines späten Schwangerschaftsabbruchs hätte herumreden sollen. Selbst jemand, der nicht wie Charlotte katholisch war, würde so einen Vorschlag nur schwer schlucken. Überdies waren nur eine Handvoll Ärzte im ganzen Land in der Lage, eine Schwangerschaft mit so großem Risiko auch für die Mutter sicher zu beenden. Immerhin boten sie aber eine Alternative zu der Geburt eines Kind, das keinerlei Überlebenschance hatte. Doch so oder so, die Eltern würden eine Narbe davontragen. Wie hatte Charlotte sich ausgedrückt? Es gab hier kein Happy End.
»Und ich möchte nicht, dass du leidest«, erwiderte ich.
»Sean will es nicht.«
»Sean ist auch nicht schwanger.«
Charlotte drehte sich weg. »Wie soll ich mit einem Baby im Bauch durch das halbe Land fliegen, wenn ich genau weiß, ich komme ohne es wieder zurück?«
»Ich würde dich begleiten, wenn du das willst.«
»Ich weiß es nicht«, schluchzte sie. »Ich weiß nicht, was ich will.« Sie schaute mich an. »Was würdest du tun?«
Zwei Monate später standen wir einander an deinem Krankenhausbettchen gegenüber. In dem Raum standen viele Geräte, die ihre winzigen Schützlinge am Leben erhielten, und verbreiteten ein blaues Licht; es sah aus, als schwebten die Kinder unter Wasser. »Würdest du so etwas unterschreiben?«, fragte Charlotte mich noch einmal, nachdem ich beim ersten Mal nicht geantwortet hatte.
Man könnte argumentieren, dass es weniger traumatisch war, eine Schwangerschaft abzubrechen, als eine DNR -Anordnung für ein Kind zu unterschreiben, das bereits auf der Welt war. Hätte Charlotte sich in der siebenundzwanzigsten Woche für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, ihr Verlust wäre zwar furchtbar gewesen, aber eher theoretischer Natur – sie hätte dich noch nicht gekannt. Nun war sie gezwungen, sich noch einmal der Frage nach deiner Existenz zu stellen, doch diesmal konnte sie die Schmerzen und das Leiden mit eigenen Augen sehen.
Charlotte war mehrfach zu mir gekommen und hatte mich um Rat gebeten: zur Empfängnis, zur Spätabtreibung und jetzt zur DNR -Anordnung.
Was würde ich tun?
Ich würde zu dem Moment zurückkehren, da Charlotte mich gebeten hatte, sie als Patientin zu nehmen, und würde sie an einen anderen Arzt verweisen.
Ich würde zu der Zeit zurückkehren, da wir häufiger zusammen gelacht als geweint hatten.
Ich würde zu der Zeit zurückkehren, da du noch nicht zwischen uns gestanden hast.
Ich würde tun, was nötig wäre, um dir das Gefühl zu ersparen, alles falle auseinander.
Wenn man sich entschloss, das Leiden eines geliebten Menschen zu beenden – bevor es begann oder wenn es schon währte –, war das dann Mord oder ein Gnadenakt?
»Ja«, flüsterte ich. »Ich würde sie unterschreiben.«
Marin
»Der Lernprozess war gewaltig«, sagte Charlotte. »Ich musste lernen, wie man Willow hält, wie man die Windeln wechselt, ohne ihr einen Knochen zu brechen, und dass wir schon dieses Knacken hören konnten, wenn wir sie nur auf den Arm nahmen. Wir mussten herausfinden, wo man spezielle Kindersitze und dergleichen bekommt, deren Sicherheitsgurte ihr nicht gleich das Schlüsselbein brechen. Wir lernten, wann wir in die Notaufnahme mussten und wann wir einen Bruch selber schienen konnten. Wir haben einen Vorrat wasserdichter Verbände in der Garage. Wir sind nach Nebraska gefahren, weil es dort einen orthopädischen Chirurgen gibt, der auf OI -Patienten spezialisiert ist, und wir haben mit regelmäßigen Parathormon-Infusionen in Boston begonnen.«
»Haben Sie je Urlaub
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