Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
werden, war für Laura essenziell. Sie kannte keinen anderen Weg. Doch sie sah nicht, dass Serena das Verhalten der Dorfbewohner ihr oder ihrer Mutter gegenüber egal war, ja sie es nicht einmal registrierte. Dass sie keinerlei Regung empfand, wenn man sie Schnitt, sie anspuckte oder mit offener Verachtung ansah. Sie registrierte nicht einmal die Veränderungen, die Lauras Opfer zu verdanken waren.
In Serenas Leben gab es nur vier Lichter. Ein ganz kleines von der Natur vorgesehenes Licht für ihre Mutter, das jeden Moment aufgrund von Sauerstoffmangel auszugehen drohte. Das Licht ihres Vaters, das seit seinem ersten Lächeln und der ersten Umarmung helllicht in ihr brannte und nach seinem Verschwinden nicht erlosch. Das leise, stetige Feuer für Zorghk, der die Rolle des grummeligen Lehrers in ihrem Leben schon bald einnehmen sollte. Und das Licht von Laura, das sich langsam in ihr Herz geschlichen und mit jeder Begegnung zugenommen hatte, bis es alle anderen Feuer mit seinem Strahlen überdeckte. Vielleicht hätte es sogar das Potenzial gehabt, so viel Leuchtkraft zu entwickeln, um in alle Ecken von Serenas dunkle, fast leer Seele vordringen zu können.
Hätte Laura mehr auf Serenas Reaktionen als auf die Reaktionen der Dorfbewohner geachtet, hätte sie Serena vielleicht retten und den Weg, der noch vor ihr lag, ebnen können. Vielleicht hätte Laura sie sogar in einen verhältnismäßig normal fühlenden Menschen wandeln können. Denn Lauras Leuchten, ihre Gabe in Menschen Gefühle zu wecken, vor der hatte sich nicht einmal Serenas leere Seele verschließen können.
Die kleine Serena war nicht fähig zu sehen oder zu begreifen, dass Laura sich nicht einfach von ihr abwandte, es nach all den Jahren und Zugneigungsbeweisen unmöglich für einen normalen Menschen war, seine Gefühle für einen anderen von heute auf morgen abzuschalten. Trotz des Einflusses von Laura waren Serenas Gefühle und ihr Verständnis von Gefühlen nicht ausgeprägt genug.
Gefühle waren zwar häufig nicht für die Ewigkeit, aber sie hinterließen immer unauslöschliche Spuren. So auch in Serena. Die Spuren, die Laura in ihrem Herzen hinterlassen hatte, würden sie auf der Reise die vor ihr lag begleiten. Sie würden sich weiterentwickeln und lichterloh in ihrer Seele brennen.
…
Über Serena und die Vergangenheit nachdenkend, spürte Laura plötzlich eine warme Hand auf ihrer. Er war gekommen. Ihr Herz klopfte schneller und sie öffnete langsam ihre Augen. Laurenz saß schon im Gras neben ihr und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen, ohne etwas zu sagen. Laura betrachtete den Jungen neben sich, der mehr wie ein Mann wirkte.
Ihre Augen wanderten von dem leichten blaugrünen Schatten, der schon starken Bartwuchs andeutete, von dem alle pubertierenden Jungs in ihrer Klasse träumten, zu seinen bernsteinfarbenen Augen . Sie waren heute etwas dunkler als sonst. Ob etwas passiert war? Laura hatte schon immer eine Antenne für die Gefühlswelt anderer gehabt. Diese Gabe wusste sie auch gut für sich zu nutzen.
„Alles in Ordnung, Laurenz? Du wirkst etwas bedrückt“, sagte sie mit Besorgnis in der Stimme. Bei dieser Frage hob er seine Hand an seine Kehle, wohin Lauras Blick ihr folgte.
Er hatte sich ein Tuch um den Hals gebunden. Das hatte er noch nie gemacht. Laurenz antwortete nicht auf ihre Frage, richtete seinen Blick zu Boden und erhielt die Reaktion auf sein theatralisches Verhalten, auf die er gehofft hatte. Laura rückte näher an ihn heran, bis ihr noch nicht ausgewachsener Busen sich gegen seinen Arm presste.
„Was ist passiert?“, fragte sie erneut nach und sah ihn stirnrunzelnd an. Um die Situation noch dramatischer zu gestalten, wich Laurenz Lauras Blick aus und drehte seinen Kopf von ihr weg, die Hand immer noch auf dem Halstuch. Sie verstand. Natürlich verstand sie. Er war gut darin die Menschen zu manipulieren und sie glauben zu lassen, sie handeln aus freien Stücken. Er hatte schließlich vom Besten gelernt und dieses kleine Wesen schien besonders offen für seine Spielchen zu sein.
Laura nahm seine Hand vom Tuch, wobei Laurenz sich berechnend unter ihrer Berührung versteifte, sich jedoch dann führen ließ. Behutsam öffnete Laura den Knoten und stieß einen kleinen Schrei aus, als sie die Wunde am Hals sah. Das Tuch segelte sanft zu Boden und Lauras Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte sofort eine Assoziation, dafür hatte er in guter Vorarbeit gesorgt. Unter zusammengepressten Lippen fragte sie:
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