Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
„Dein Vater?“
Offiziell war Laurenz Anderlieb der Sohn eines viel beschäftigten Händlers. Sein Vater war ständig unterwegs und nach dem Tod seiner Frau hatte er seinem Sohn ein Zimmer im Longershot gepachtet, der einzigen Kneipe in Krem, die bei Bedarf auch eins zwei Zimmer vermietete. Sein Sohn sollte hier in Ruhe die Schule beenden und sich eine passende Frau suchen. Da alle glaubten, Laurenz Anderlieb sei der Sohn eines reichen Kaufmanns, hatte er leichtes Spiel. Niemand war verwundert, als er begann sich mit Laura Oberson zu treffen, der Tochter des Aufsichtsmeisters.
Ein paar Aussagen mit dem richtigen Unterton in der Stimme und einem Blick zu Boden wie: „Mein Vater hat sich seit dem Tod meiner Mutter sehr verändert“, hatten gereicht, um bei Laura die richtigen Assoziationen hervorzurufen. Kaum hörbar sagte er: „Er ist gestern als Zwischenstopp auf seinen Geschäftsreisen vorbeigekommen. Er ... er hatte mal wieder zu viel getrunken ...“, den Rest überließ er Lauras Fantasie. Laura stieß laut ihren angehaltenen Atem aus.
„Du musst da weg! Wer weiß, was er als Nächstes tut!“ Theatralisch ballte Laurenz seine Hände zu Fäusten.
„Wo soll ich denn hin? Er gibt mir keine Münze! Er bezahlt das Essen und alles Nötige immer im Voraus ...“ Schneller als er damit gerechnet hatte, tappte sie in die Falle.
„Ich habe Geld!“
„Das kann ich nicht annehmen, außerdem wird es nicht reichen ...“, sagte er mit trauriger Stimme.
„Ich weiß, wo mein Vater sein Geld versteckt. Es wird für eine ganze Weile reichen. Für uns beide!“, sagte Laura bestimmt.
Uns beide? Das war eine Entwicklung an die er gedacht hatte, aber mit der er nicht gerechnet hatte. Nicht in so einem frühen Stadium des Plans. Er wirbelte herum, nahm ihre Hände in seine, schaute ihr in die Augen und sagte mit tiefer rauer Stimme: „Das würdest du tun? Du würdest für mich deine Familie verlassen und mit mir kommen?“ Unter seinem Blick und der männlichen Stimme errötete Laura, senkte jedoch nicht den Blick und sagte mit strahlenden Augen und bestimmter Stimme: „Ja! Wir können noch heute Nacht aufbrechen.“
Das überraschte Laurenz doch etwas. Die Kleine hatte Mut! Unter anderen Umständen, könnte er durchaus weiter mit ihr gehen. Sie war eine Frau nach seinem Geschmack, nun ja, wenn sie denn das Alter einer Frau erreicht hatte. Er zügelte sie etwas: „Lass es uns nicht übereilen. So etwas muss geplant werden.“ Dann zog er sie stürmisch an sich und hielt sie fest umarmt. Während Laurenz sich dachte: „Das wäre eine gute Möglichkeit vor Armirus zu fliehen. ... Aber ich kann sie da nicht mit reinziehen “, spannen Lauras Gedanken ebenfalls ein Netz: „ Das ist die Möglichkeit, auf die ich gewartet habe. Ich kann es wieder gut machen. Wenn ich weg bin, werden sie Serena ein für alle mal in Ruhe lassen.“
Beide hingen ihren Gedanken nach, als sie sich in den Armen lagen.
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Dieser „Unterricht“ ging Laurenz wirklich auf die Nerven. Es wurden Halbwahrheiten so verdreht, dass sie in das Weltbild dieser beschränkten Dorfbewohner passte, die in ihrer kleinen, heilen Welt weit abgelegen von dem politischen Geschehen der Landen und der Realität glücklich vor sich hinlebten. Doch bald musste er diese Geschichten, die ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließen, nicht mehr hören. Bald hätte er, wozu er gekommen war und würde endlich verschwinden können.
Laurenz schielte zu seiner Tischnachbarin. Sie hatte die ganzen Wochen geschwiegen und all seine Annäherungsversuche abgeblockt. Noch nie hatte er jemanden getroffen, der so immun gegen seinen Charme war. Sie weckte seine Neugier, aber er musste nach Plan vorgehen. Auch wenn es ein paar kleine Änderungen gab, war das Ergebnis das gleiche. Laurenz hatte vor sich ein weißes Papier liegen und schrieb eine kurze Nachricht darauf:
„Bereite alles vor und komm um Mitternacht zur Lichtung beim Westtor.“
Kurz und knapp, für einen Amateur als Geheimnachricht zu erkennen. Eine echte Geheimnachricht wäre natürlich nie so für die Allgemeinheit verständlich gewesen, aber sie würde das bewirken, was sie sollte. Nun würde er die Nachricht Laura zustecken und dann blieb nur noch abzuwarten.
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Serenas Füße trugen sie nach dem Training mit Zorghk nicht wie üblich nach Hause. Stattdessen steuerte sie den Wald am Westtor an. Serena wusste selbst nicht genau wieso, aber seit sie die Nachricht von diesem
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