Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
das konnte er fühlen. In all den Jahrhunderten hatte er es nie so deutlich gespürt. Er konnte die Richtung nicht genau ausmachen, aber es war ein Ereignis, das das Schicksal der Landen umschreiben und in eine ihm unbekannte Richtung lenken würde. Eine Welle , die alles verändern würde. Im Zentrum standen zwei Menschen und er sah ein Meer aus Blut.
Dann war die Schicksalsoberfläche wieder glatt. Der Stein jedoch war geworfen worden und lag auf dem Grund des Sees. Ein Stein, dem eine Lawine folgen würde.
„Alara!“, rief der alte Mann nach seiner ergebene Dienerin. Sie war nach ihrer Aufgabe wieder zu ihm zurückgekehrt. Da er durch sie nicht an die in ihr verborgene Macht gekommen war, hatte er sie zu diesem Mann geschickt, damit sie ein Kind gebar. Er hatte gehofft, dass ihre Kraft auf ihren Nachkommen übergehen würde. Das Kind hätte er vielleicht öffnen können und die Quelle der Macht wäre sein gewesen. Doch ihre Kraft war in ihr geblieben und das Kind war leer zur Welt gekommen. Er hatte Alara schon vergessen und ihre Kraft abgehakt. Doch sie war wie ein Hund zu ihrem Herren zurückgekrochen, auch wenn sie wusste, dass sie nur Tritte und Schläge erwarteten. Wenn sie schon hier war, ungerufen, ungewollt und unnütze, konnte er sich ihrer zumindest bedienen. Und nichts anderes wollte sie. Sie wollte von ihm benutzt werden.
„Ja , Meister Morphis“, sagte sie und ging vor ihm auf die Knie. Ja knien sollten sie alle, knien würden sie alle, vor ihm, den größten und mächtigsten Schlüssel, den es je gegeben hatte und geben würde. Er war ein Gott.
„Selbst du, mit deiner geringen Kraft, müsstest das Beben gespürt haben. Ich will, dass du das Epizentrum ausmachst und mir Bericht erstattest. Hinfort mit dir.“ Gehorsam verschwand Alara im Nichts und machte sich auf, die ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen.
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Durchbohrt von zwei Messern, blieb Ramires für ein paar Sekunden, die sich ins Unendliche ausdehnten, bewegungslos stehen und fiel dann in Zeitlupe in sich zusammen. Als er den Boden berührte, war ein dumpfer Laut zu vernehmen. Dann herrschte Stille, nur das Sickern des Blutes aus seinem Körper war zu hören.
Serena starrte auf ihre Hände, die rot gefärbt waren vom Blut. Blut, das anstatt herunterzutropfen, ihre Arme hochkroch, sich in ihrer Kleidung verbiss. Sie sah Fleisch, das sich von Knochen löste. Ein Meer aus Blut und knochige Finger, die anklagend auf sie zeigten, sich nach ihr ausstreckten. Leere Augenhöhlen, die sie anstarrten. Serena sank in die Knie und starrte auf das Blut an ihren Händen.
Sie hatte gemordet ... Zum zweiten Mal. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Geist war nicht mehr in dieser Welt. Das Blut und die nur aus Knochen bestehende Arme zogen und zerrten an ihr, wollten sie mit in die Welt ziehen, in die Serena sie geschickt hatte.
Mikhael sah, wie Serena der Welt entglitt. Er musste sie zurückholen. Er hatte schon öfters Männer und Frauen in die Welt des Wahnsinns abdriften sehen. Er kannte diesen Blick. Mikhael schleppte seinen schmerzenden und zerschundenen Körper an Ramires Leiche vorbei zu Serena. Fiel zu ihr hinunter auf die Knie, nahm ihre Hände in seine, schaute ihr in die Augen und wiederholte mit eindringlicher Stimme immer und immer wieder die selben Worte: „Du hast ihn nicht getötet, ich war es. Du hast ihn nicht getötet. Ich bin es gewesen. Ich nehme die Bürde auf meine Seele.“ Langsam klärte sich ihr Blick.
Als er spürte, dass sie wieder zu sich gekommen war, huschte ein leises Lächeln über seine Lippen, dann brach er, seinen Kopf in ihrem Schoss, zusammen.
I M R EICH DER S ENJYOU
Als Mikhael wieder zu sich kam, hatten sie die Grenze des Vostokenreiches bereits überschritten und befanden sich auf dem Gebiet der Senjyou. Die Senjyou waren eine stolze Rasse, hochgewachsen wie die Bäume, mit denen sie seit der Geburt des ersten Sprösslings im südwestlichen Waldgebiet in Einklang lebten. Ein zurückgezogenes Volk, das sehr an seinen Traditionen hing und die meiste Zeit unter sich blieb. Nur wenige Vostoken hatten je das Glück einem Senjyou begegnet zu sein.
Die Senjyou liebten alles Reine und Geordnete. So war auch ihre Welt rein und geordnet. Alles und jeder hatte seinen Platz in der Gesellschaft. Sie waren ein langlebiges Volk, in dessen Natur die Beständigkeit lag. Die Welt der Vostoken mit ihrer Schnelllebigkeit und ihrem ständigen Wandel passte nicht in die Weltanschauung der Senjyou und
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