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Zerfetzte Flaggen

Zerfetzte Flaggen

Titel: Zerfetzte Flaggen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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derartige Dampfentwicklung geben, daß sie aussehen mußten, als stünden sie in Brand, dachte Bolitho.
    Aber Pears wußte das alles selbst, es bestand keinerlei Grund, es ihm zu sagen. Er hatte so viele Morgendämmerungen auf so vielen Meeren erlebt, daß er nicht von einem Leutnant darauf hingewiesen werden mußte.
    Es war noch dunkel im Batteriedeck, aber Bolitho wußte, daß jedes Geschütz besetzt war, klar zum sofortigen Einsatz. Es verursachte ihm ein unheimliches Gefühl, dieses große, kampfbereite Schiff, das lautlos wie ein Schatten durch die Dunkelheit glitt.
    Nichts verriet seine Anwesenheit als ein gelegentliches Klatschen der Segel oder ein Knarren des Rades beim Ruderlegen.
    Irgendwo dort vorn lag ihr Ziel, die kleine, entlegene Insel, auf der Coutts so viel zu finden hoffte – oder vielmehr zu finden beabsichtigte.
    Die Isla San Bernardo war nicht mehr als ein Punkt auf Erasmus Bunces Seekarte. Es hieß, dieses Eiland sei die letzte Zuflucht eines Mönchsordens gewesen, der sich vor mehr als hundert Jahren dort niedergelassen habe. Bunce hatte bissig bemerkt, die Mönche seien wohl nur durch Zufall gelandet oder in der irrigen Annahme, daß es sich um eine der Hauptinseln handele. Das schien leicht möglich, dachte Bolitho, denn die Passage zwischen Santo Domingo und Puerto Rico war über neunzig Meilen breit, fast ein Ozean für ein kleines Fahrzeug mit unerfahrener Besatzung.
    Die Mönche waren längst in Vergessenheit geraten, umgebracht von Piraten oder ausgesetzten Gefangenen.
    Die Spite lag jetzt dort und blockierte den Hafen. Cunningham rieb sich wohl die Hände und sah im Geiste schon den Artikel in der Gazette, in dem er lobend erwähnt wurde.
    Bolitho hörte Pears näher kommen und sagte: »Der Wind ist stetig Nord zu West, Sir.« Er wartete und spürte des Kommandanten Sorgen und Zweifel.
    Pears murmelte: »Danke, Mr. Bolitho. Wir werden gleich genügend Tageslicht haben, um unseren Weg in die Einfahrt zu finden.«
    Dann blickte er nach oben zu den großen, fahlen Rechtecken der Segel und den allmählich verblassenden Sternen.
    Bolitho folgte seinem Blick und malte sich Pears Gefühle aus, die drückende Verantwortung, die Unsicherheit. Ein Scheitern des Unternehmens würde in jedem Falle zu seinen Lasten gehen. So ganz konnte er sich nicht in Pears Lage versetzen, Cairns, der jetzt ebenfalls an Deck auftauchte, konnte das wohl besser, aber der würde das Schiff bald verlassen. Ob das ihn selbst dem Kommandanten näherbrachte? Er bezweifelte es.
    Cairns trat jetzt zu ihnen, begrüßte sie in seiner üblichen ruhigen Art, und sagte: »Ich war gerade im unteren Batteriedeck, dort fehlen noch einige Leute. Aber ich glaube nicht, daß wir heute gegen eine ganze Flotte kämpfen müssen.«
    Bolitho erinnerte sich an Coutts Erregung anläßlich eines einzelnen Schoners und mußte lächeln. Er sagte: »Mit Hilfe der Spite werden wir uns bewähren, hoffe ich.«
    Pears wandte sich in plötzlichem Ärger ihm zu. »Entern Sie auf, Mr. Bolitho! Oben im Krähennest können Sie Ihre Witze anbringen.
    Melden Sie alles, was Sie sehen!« Und dann, im weggehen: »Wenn Ihnen nicht wieder schlecht wird, wie sonst im Topp.«
    Sein Spott wurde vom Rudergänger und von der Geschützbedienung auf dem Achterdeck gehört. Bolitho war überrascht und verwirrt über diesen Ausbruch, und er sah, wie sich einer der Seeleute umwandte, um sein Grinsen zu verbergen.
    Cairns jedoch sagte ruhig: »Daran können Sie ermessen, wie ihm selbst zumute ist, Dick.«
    Diese einfache Bemerkung gab Bolitho sein seelisches Gleichgewicht wieder, während er die Wanten zum Großtopp aufenterte.
    Seine Empörung über Pears Worte trieb ihn ohne den geringsten Schwindelfanfall bis zur Bramstenge, und als er ein wenig atemlos oben beim Ausguck ankam, merkte er, daß er es bedeutend schneller geschafft hatte als sonst.
    Der Seemann im Ausguckskorb bemerkte seelenruhig: »Es wird bald hell werden, Sir. Ein schöner Tag, glaube ich.«
    Bolitho erkannte ihn. Es war ein älterer Toppsgast namens Buller, »älter« nach Marinemaßstab, das heißt, etwa dreißig. So gegerbt wie er war von Wind, See und Sonne, ausgemergelt von den zahllosen Kämpfen mit wildgewordenem Segeltuch, die Muskeln beansprucht bis zum äußersten, würde man ihn wohl bald zu einer weniger harten Arbeit unten an Deck abstellen.
    Das Wichtigste schien Bolitho, daß der Mann nicht im geringsten beunruhigt war, weder durch die beträchtliche Höhe noch durch das unerwartete

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