Zerfleischt - Der ultimative Thriller
worden war, um frei herumzurennen – und Mr. Chalmers hatte die Kinder zu einem zusammenhängenden Ganzen versammelt. Und heute Nacht würde er sie gegen die anderen Clans anführen.
Mr. Chalmers trug noch immer seine geliebte Kaki-Hose, obwohl sie jetzt sehr dreckig war, und die Stiefel. Sein Hemd aber hatte er heruntergerissen und den Fuchsmantel seiner toten Frau angezogen, der mit Mottenkugeln im Gästezimmer aufbewahrt worden war. Er hatte die Ärmel abgeschnitten, damit alle die vielen Tätowierungen aus seiner Armeezeit auf seinen Armen sehen könnten. Obwohl er sie viele Jahre lang verdeckt hatte, die grauenvollen Erinnerungen an seine Tage im Vietnamkrieg, als er Aufklärungspatrouillen und Jagd-Killer-Teams tief ins feindliche Territorium geführt hatte, zeigte er sie jetzt. Sie waren Ehrenabzeichen, Symbole militärischer Blutriten, des Gefechts und des Tötens.
Die Kinder, sein Clan, respektierten ihn und wussten, dass er ihr Anführer war. Diejenigen, die gewagt hatten, das infrage zu stellen, hatte er verprügelt. Einen besonders arroganten 15-jährigen Jungen hatte er ermordet, dessen Kehle mit demselben Messer aufgeschlitzt, das er während des Krieges getragen hatte: ein KA-BAR-Kampfmesser mit einer 15 Zentimeter langen Karbonstahlklinge. Er trug jetzt die Ohren des Jungen mitsamt seinem Skalp an einer Kette um den Hals.
Die Schreie ertönten erneut.
Der Clan hüpfte um das Feuer herum, ahmte die Geräusche nach und quoll vor Jagdfieber über – bald würde der Raubzug gegen die anderen Stadtteile beginnen.
Während sein Blut heiß und süß köchelte, fühlte sich Chalmers noch weitaus mehr als Mann, als er sich damals vor vielen Jahren gefühlt hatte, als er im Hinterhalt am Ho-Chi- Minh-Pfad lauerte. Er hielt eine Plastiktube Kajal in seinen Händen. Er öffnete sie mit seinem KA-BAR-Messer und bedeckte seine Finger mit dem schwarzen Make-up. Vorsichtig, genau wie er es im Krieg getan hatte, malte er schwarze Tigerstreifen über sein Gesicht und schwärzte seine Brust und seine Arme.
Heute Nacht kehrte er nach so langer Zeit in den Dschungel zurück.
37
Als sie näher an das Stadtzentrum herankamen, hörten sie auf zu reden. Sie hatten sich zwar anfangs nicht viel unterhalten, aber als sie einen genauen Blick auf die Stadt erhielten, und auf das, was vor sich ging, war es, als hätte man sie geknebelt, ihnen Lumpen in ihre Münder gestopft und mit Klebestreifen verschlossen.
»Es ist die ganze Stadt«, sagte Macy und versuchte nicht zu verbergen, was sie empfand. Es überflutete sie, versenkte sie in neue Tiefen der Verzweiflung. »Es ist die ganze Stadt, Louis! Die ganze Stadt ist verrückt geworden!«
»Entspann dich«, antwortete Louis, während er es selbst extrem schwierig fand, sich nicht zu verkrampfen.
Ja, es war überall und es war nicht länger mehr nur eine Frage des Gefühls, dass jetzt etwas nicht stimmte, denn man konnte es sehen: Autos waren zertrümmert und mitten auf der Straße stehen gelassen worden, Häuser brannten, Mülltonnen waren umgekippt, Fenster eingeschlagen, nackte Leichen in den Vorgärten verteilt. Als wäre ein Tornado der Zerstörung vorbeigezogen.
Etwas war hier durchgedreht.
Etwas war zusammengebrochen.
Die ganze verdammte Stadt musste in eine Zwangsjacke gesteckt werden. Louis sah sich alles an und konnte keine passenden Worte finden, um es selbst zu verstehen. Man fuhr durch Viertel der Zerstörung und des Wahnsinns und dann, zwei oder drei Straßen weiter, schien alles wieder vollkommen normal. Leute wuschen ihre Autos und führten ihre Hunde spazieren und mähten ihren Rasen. Aber Louis konnte sich ziemlich gut vorstellen, dass diese Leute auch nicht normal waren. Es konnte nicht sein, dass sie nicht gehört hatten, was um sie herum geschah; trotzdem wandten sie sich ihren langweiligen, kleinen Aufgaben zu, als sei die ganze Welt in Ordnung. Das Einzige, was Louis Hoffnung gab, waren die Stadtteile, in denen man gar keine Leute sah, nichts, was vermuten ließ, dass jemand in der Nähe war, außer ein paar Fenstervorhänge, die beiseite geschoben wurden, um zu sehen, wer vorbeifuhr.
»Warum wird nichts unternommen?«, wollte Macy wissen. »Sie können nicht … sie können so was nicht einfach geschehen lassen. Wo ist die Polizei?«
Louis fragte sich das Gleiche. Sie hätte im Einsatz sein sollen, aber er hatte bisher noch keinen einzigen Streifenwagen gesehen. Obwohl – in der Ferne hörte er Sirenen. Viele Sirenen. Er wusste nicht genau,
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