Zero Gravity
jetzt…«
»Ach, lass sie ruhig rein, Padmini«, sagte eine ruhige Stimme abseits der Kamera, die Gantt als die Nomuras erkannte. »Sonst bekommt sie da draußen noch einen Tobsuchtsanfall und muss von UI-Sec abgeholt werden.«
»Einen Moment«, sagte Padmini konzentriert und kam noch näher an die Kamera heran, um Gantt einen hervorragenden Einblick in ihre pixeligen Nasenlöcher zu gewähren. Quietschend glitt die Stahltür auf.
Ayline Gantt wartete nicht erst, bis sie vollständig geöffnet war, sondern quetschte sich wütend durch die sich erweiternde Lücke in den Archiv-Vorraum. Die Deckenlampen waren nicht an, aber das bläuliche Licht zahlreicher Monitore genügte, um den großen Raum zu erhellen. Hinter einem Pult direkt gegenüber der Eingangstür saß Padmini, die in der Realität weder pixelig wirkte noch Glotzaugen hatte. Sie war eine gänzlich unauffällige junge Frau mit kurz gewelltem, mausbraunem Haar und misstrauischem Blick. Ein weiterer, leerer Schreibtisch befand sich zu Gantts Linken, dazwischen führten mehrere Türen aus dem Raum hinaus.
Auf der anderen Seite lehnte der ehemalige Justifiers-Koordinator Nomura gegen einen Türrahmen und sah ihr neugierig entgegen. Er war nicht mehr jung, gab sich aber Mühe, jugendlich zu wirken. Sein sorgsam gescheiteltes Haar war sehr dunkel, wenn auch nicht so schwarz wie der gepflegte Vollbart, den er trug, um darunter unwillkommene Anzeichen des nahenden Alters zu verbergen. Die lässigen Hosen, die er heute anhatte, waren aus einem edel wirkenden grauen, mit Metallfäden durchwebten Material, und der mit Sicherheit teuren Pullover, der um den Bauch herum etwas auftrug, bestand aus echter Tierwolle. Obwohl Nomura nicht sehr groß war, war er natürlich größer als Gantt. Die blickte irritiert auf seine Bekleidung. »Geht es dir… gut, Neo? Was trägst du da?«
»Wir Archivare bekommen so selten wichtigen Besuch, dass es unerheblich ist, was wir tragen. Es reicht vollkommen aus, einen Not-Anzug hier im Schrank zu haben, nicht wahr, Padmini? Ja, hier sind wir frei.« Er lachte theatralisch, um seine blendend weißen Zähne in Szene zu setzen. »Tritt doch ein, Line.« Gantt war bisher nicht bewusst gewesen, dass man Kunststofftüren zuknallen konnte, aber Nomura war dazu imstande. Krachend fiel die Tür zu seinem Büro ins Schloss, und eine Welle von holzig-erdigem Herrenduft wehte ihr ins Gesicht.
>Census:Voyage< von Les Maitres. Du hast einen exklusiven Geschmack, Neo, nur wirst du ihn dir bei deinem Archivarengehalt leider nicht mehr lange leisten können.
Eine kriegsschiffgraue, mit Monitoren, Tastaturen und Ablagekörben übersäte Winkelkombination füllte den größten Teil des Raums, davor stand ein Trio schäbiger brauner Drehstühle. Nomura nahm auf einem der Stühle Platz, und Gantt nahm amüsiert zur Kenntnis, dass er üblicherweise mit dem Gesicht zur Wand arbeitete - genauer gesagt zu einem gigantischen Kunstdruck hin, auf dem finstere, an einen Berghang gedrängte Häuser auf den Betrachter herabzustürzen schienen.
Sie zog eine schmale Braue hoch. »Setz dich, Line. - Ja, es gibt nur diese Art von Stühlen. Wir Administrativen müssen eben mit den Mitteln auskommen, die ihr Operativen uns übrig lasst.«
»Woran du selbst nicht ganz unschuldig bist, Neo«, befand Gantt kühl und blieb stehen, weil sie Nomuras neuen Wirkungsplatz so besser überblicken konnte. »Wären nicht so viele deiner Projekte und Missionen gescheitert, wäre bestimmt noch ein ordentlicher Chefsessel im Budget gewesen. Vielleicht nicht gerade aus Grousiten-Leder, aber wenigstens ohne Löcher in der Rückenlehne.«
»Was willst du?«, fragte Nomura scharf, jeglicher Anschein von Freundlichkeit war verschwunden. »Bist du gekommen, um dich über mich lustig zu machen? Willst du dich an meinem erbärmlichen Umfeld ergötzen?« »Ich wollte dir einen Vorschlag machen.« Ihr Blick fiel auf einen der Monitore, auf dem außer SVR-Verbindungsdaten eine nicht fertiggestellte Textnachricht zu sehen war, adressiert an Veronica Crompton. »Ich benötige Informationen aus einer Personalakte…«
»Stell einen Antrag bei HR.« Nomuras Gesicht rötete sich leicht. Mit mehr Druck als nötig betätigte er den Schalter des Monitors, der erlosch. »Schriftlich und mit Begründung.«
»Es handelt sich um eine alte Personalakte. Kein Chip, keine Tab Sheets, kein Elektrosynth-Zeugs … ich rede tatsächlich von einem Ordner mit Papier«, lächelte Ayline Gantt entschuldigend.
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