Zero Gravity
»Meines Wissens wurden sie alle archiviert, und du sitzt direkt an der Quelle.«
In Nomuras ältlichem Gesicht arbeitete es; vermutlich stand er kurz davor, die Sicherheit zu rufen, also stellte sie ihr Lächeln auf >gewinnend< um.
»Neo, ich will dir nichts Böses - ganz im Gegenteil. Du befindest dich in einer Position, in der du über Dinge verfügst, die ich benötige, und mein Budget ist noch lange nicht ausgeschöpft. Ich schlage dir einen Handel vor: Du besorgst mir, was ich brauche, und ich lasse dir dafür eine angemessene Ausstattung besorgen: neue Stühle, Teppiche, doppelt so viel Zeit am stationseigenen Stellar Voice Radio, ein Original dieses Bilds, falls es überhaupt ein Original gibt… eben alles, was ein Archivleiter so benötigt.«
Er runzelte die Stirn.
»Von welcher Akte sprechen wir?«
»Wilfred Achmed Azer.«
»Azer«, wiederholte Nomura gedehnt. »Azer?«
Dass Neophytos Nomura seit seiner unfreiwilligen Versetzung nicht mehr gut auf seinen ehemaligen Vorgesetzten zu sprechen war, war klar; dennoch hätte Gantt nicht damit gerechnet, dass er sein Interesse daran, Azer den
>Verrat< zu vergelten, so unverhohlen zeigen würde. »Azer.« Sie zuckte mit den Achseln. »Bist du dabei?«
Nomura sah sie misstrauisch an und deutete mit dem Kopf in Richtung des Kunstdrucks. »Du hast keinen blassen Schimmer, was ein echter Miller wert ist, oder?«
»Garantiert nicht mehr als das, was mir derzeit zur Verfügung steht, Neo.« Sie aktivierte ihre Multibox - die gängige Kombination aus Kommunikator, Uhr und verschiedenen anderen Unterhaltungselektronika - und richtete sie auf das Bild. »Gabby? Finden Sie heraus, wo man das Original dazu herbekommt.«
»Tja.« Nachdenklich rieb sich Nomura das sonnenbankbraune Gesicht; er wartete, bis Gantt die Verbindung zu ihrer Assistentin unterbrochen hatte, bevor er ihr eines seiner berüchtigten gekünstelten Lächeln schenkte. »Dann wünsche ich dir viel Glück mit dem Bild, Line. Wenn du noch zwei Secbots, eine Flasche Eau d’Honneur No. 1 und eine Kiste Seelust Rubicon von ‘37 drauflegst, bekommst du gleich morgen, was du brauchst.« »Deal.« Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf Gantts Züge. »Und Neo…« »Ja?«
»Vielleicht solltest du deine privaten Mails nicht von deinem Arbeitsplatz aus versenden. Das könnte dir eines Tages das Genick brechen.«
Das Gesicht des Mannes wurde schlagartig dunkelrot, aber Gantt ersparte ihm die Peinlichkeit einer Rechtfertigung, indem sie die Tür öffnete und wieder in den Vorraum trat.
»Bis morgen«, sagte sie fröhlich und nickte der misstrauischen Padmini zu, die ihr die Stahltür per Knopfdruck öffnete.
Heute war ein guter Tag.
Natürlich glaubte Ayline Gantt keine Sekunde lang daran, dass die begonnene Dankesmail an Veronica Crompton, die sie auf Nomuras Bildschirm gesehen hatte, privater Natur im Sinne von >romantisch< war. Crompton, das wusste die immer gut informierte Gantt, betreute für den Konkurrenten Gauss Industries Forschungsprojekte, so wie Gantt es für United Industries tat. Was Nomura mit GI zu schaffen hatte, war ihr im Augenblick völlig egal, aber ihr war wichtig, dass der Mann glaubte, dass sie ihn sehr, sehr aufmerksam beobachtete und über alles, was er tat, im Bilde war.
Nicht, dass er plante, noch zusätzliches Kapital aus ihrer Frage nach Azers Akte zu schlagen, indem er ihrem Vorgesetzten davon berichtete. Gantt glaubte zwar nicht, dass der Mann so viel Rückgrat zeigen würde, weil er dadurch die versprochenen Luxusgüter aufs Spiel setzte, aber… … sicher war sicher.
Nein, sie betrachtete Azers Akte als Testballon; platzte er jetzt, war nichts verloren: Stand Aussage gegen Aussage, würde Gantt punkten können. Das konnte sie immer, und es galt insbesondere, wenn es gegen statuskranke Windbeutel wie Nomura ging. Platzte der Ballon nicht, nun, dann hatte sie mit Nomura eine weitere Ressource in der Hinterhand.
Ayline Gantt hielt nichts davon, Dinge wegzuwerfen, die man noch gebrauchen konnte.
System: DEF-563-UI Planet: DEF IV (United Industries) Utini Raumstation, VCT-Center 1137 Uhr (Bordzeit) Ein Surren.
Grelles Licht stach tief in ihren Schädel, die Schwerkraft zog sie in die Tiefe und trieb ihren Mageninhalt in die Höhe. Das brennende Jucken entlang ihres Rückgrats verursachte ihr Gänsehaut, ihr Fell sträubte sich, und der Geschmack in ihrem Mund war… einfach nur widerlich.
»Mist«, knurrte Kit, schluckte Gallenflüssigkeit, öffnete das Helmvisier
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