Zero Option: Thriller
Cambridge musste Victor noch einmal an das englische Pärchen denken. Besonders an die blonde Frau. Normalerweise wurde er von anderen Leuten nicht gebeten, Fotos zu machen. Victor strahlte unterschwellig gewisse Signale aus, die die meisten Menschen davon abhielten, ihn anzusprechen. Aber es funktionierte nicht immer. Und er durfte es mit der negativen Körpersprache nicht übertreiben. Wenn er zu unnahbar war, dann blieb er den Leuten im Gedächtnis haften. Lieber ab und zu angesprochen werden, als so abweisend zu wirken, dass man nicht mehr vergessen wurde. Und in Begleitung von Adrianna wirkte er sowieso zugänglicher.
»Was ist denn?«, wollte sie wissen.
»Du merkst wirklich alles, nicht wahr?«, sagte er und wunderte sich erneut darüber, wie gut sie seine Gedanken lesen konnte. »Ich habe bloß an die Arbeit gedacht. Tut mir leid.«
»Möchtest du darüber reden?«
Er schüttelte den Kopf. »Meine Arbeit ist langweilig. Reden wir lieber über dich. Cambridge, also, hmm?«
»Ich weiß nicht so recht. Ich habe mich dort wirklich wahnsinnig wohlgefühlt, aber vielleicht wäre es ja gut, etwas Neues anzufangen. Ich bin ganz wild auf neue Erfahrungen.«
Er nickte und ging begeistert mit, während sie von ihren Plänen sprach, dachte dabei aber unentwegt an die englischen Touristen. Sie hatten durch und durch harmlos gewirkt. Der Mann hatte keinen Ton gesagt und im Vergleich zu seiner sehr offenen Partnerin einen eher zurückhaltenden Eindruck gemacht. Nein, die Ursache für seine Besorgnis waren nicht diese beiden Engländer, sondern er selbst, weil er einfach nicht in der Lage war, seinen Schutzschild wenigstens ein Mal zu lüften und ein paar dämliche Touristen zu fotografieren, ohne sich gleich angreifbar zu fühlen, bloß, weil er nicht damit gerechnet hatte, angesprochen zu werden. Wie war er bloß zu diesem Abziehbild eines menschlichen Wesens geworden, zu einem Puzzle, bei dem ein paar Teile fehlten? Ob sich das jemals ändern würde?
Adrianna machte weiter: »Die Columbia University hat natürlich einen sehr guten Ruf, und ich liebe New York wirklich. Aber womöglich würde ich dann mehr einkaufen gehen als studieren.«
Victor nickte, trank seinen Tee und sagte sich, dass sein Verfolgungswahn in diesem Fall wirklich übertrieben war. Procter hatte doch gesagt, dass der Mossad in Barcelona nach ihm suchte. Und dort würden sie absolut nichts finden, was auf Bulgarien hindeuten könnte.
»Du bist der erste Mensch, dem ich das erzähle«, fügte Adrianna mit scheuem Lächeln hinzu.
Victor erwiderte: »Ich fühle mich geehrt.« Und augenblicklich musste er daran denken, dass er dieselben Worte vorhin schon einmal gebraucht hatte, gegenüber der Engländerin, nachdem er festgestellt hatte, dass sein Foto die erste Aufnahme auf ihrer Kamera gewesen war. Die Frau hatte überhaupt nicht auf seine Bemerkung reagiert. Mit keinem Wort, mit keiner Geste. Eine offene und mitteilsame Touristin, als die sie sich präsentiert hatte, hätte doch irgendeine Erklärung dafür geliefert. Vielleicht waren sie gerade erst angekommen, oder sie hatten eine neue Speicherkarte in die Kamera eingesetzt. Aber nichts dergleichen.
Victor verfluchte sich selbst dafür, dass er nicht früher darauf gekommen war.
Er wusste nicht, ob sie ihm irgendwie gefolgt waren oder sich von Adrianna zu ihm hatten führen lassen. Aber das war nicht mehr wichtig. Wichtig war nur, dass sie ihn gefunden hatten.
Die Kidon waren in Sofia.
Die Scharade mit der Kamera hatte nur dazu gedient, ihn eindeutig zu identifizieren. Mit den längeren Haaren, der gebräunten Haut und dem Bart sah er deutlich anders aus als der Mann, der vor einem Monat vor der Linse ihrer Überwachungskamera gestanden hatte. Sie hatten so dicht an ihn herankommen müssen, um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich ihre Zielperson war. Das war ziemlich verwegen und riskant, aber sie wussten ja auch nicht, dass Victor wusste, dass sie hinter ihm her waren.
Procter hatte in Bezug auf Barcelona unrecht gehabt. Vielleicht waren seine Informationen nicht auf dem neuesten Stand gewesen. Ihm gegenüber saß Adrianna und plauderte über Universitäten und das Studium und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, in welch tödlicher Gefahr sie sich beide befanden.
Victor wusste, dass sie jetzt in diesem Augenblick beobachtet wurden. Im Restaurant selbst waren keine Beschatter zu entdecken, das wäre zu dicht gewesen, aber draußen hielten sich mehrere bereit, um ihm und Adrianna zu
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