Zero Option: Thriller
flog die Kugel an ihm vorbei. Fünf Meter. Noch ein Fehlschuss. Victor bereitete sich auf den nächsten Schuss vor, der, da war er sich sicher, treffen würde.
Kein Schuss. Leeres Magazin.
Victor hörte den Aufprall, hörte den Schützen in panischer Hektik nachladen. Er legte die letzten Meter im Sprung zurück, dann konnte er seinen Gegner sehen, ein verschwommener grauer Schatten, fast unsichtbar in der Dunkelheit. Das neue Magazin wurde hörbar in den Schacht geschoben, und dann sah er, wie der Schatten sich bewegte, nach hinten kippte, mit Victors letzter Kugel in der Brust.
Victor blieb stehen, atmete einmal tief durch – endlich, endlich – und lauschte. Irgendwo in der Dunkelheit stöhnte jemand. Alle anderen waren tot oder gerade dabei zu sterben. Victor ließ die leere Glock fallen und nahm seinem Gegner die eben geladene ab. Er durchsuchte die Taschen der Leiche und entdeckte ein Portemonnaie und ein Feuerzeug. Er nahm beides an sich.
Er orientierte sich mithilfe des Plans in seinem Kopf, fand seine Schuhe wieder, schlüpfte hinein. Dann ging er zu der Stelle, an der Georg zu Boden gegangen war. Je näher er kam, desto lauter wurde das Stöhnen. Das Feuerzeug verscheuchte die Dunkelheit, und er sah Georg auf dem Rücken liegen, die Hände auf das blutende Loch in ihrem Unterleib gepresst. Die Plastikfolien, auf denen sie gelandet war, waren voller Blut, das von dort auf den Boden und in die Ritzen zwischen den schmalen Bodendielen tropfte. Sie starrte zu Victor hinauf, das gespenstisch-weiße Gesicht schmerzverzerrt. Tränen glänzten auf ihren Wangen.
»Bitte …«
Vorsichtig, um nicht mit dem Blut in Berührung zu kommen, durchsuchte Victor ihre Taschen.
»Bitte was?«
»Hilf mir.« Ihre Stimme klang schwach. »Ich bezahle dir … was du willst.«
Victor hielt ihr ihr leeres Portemonnaie vors Gesicht. »Womit denn?«
Sie gab keine Antwort. Victor schob den Geldbeutel in ihre Tasche, ignorierte das Handy und steckte die Autoschlüssel ein.
»Hilf mir«, wiederholte Georg.
»Sie tragen eine Schutzweste«, erklärte Victor. »Darum sind Sie immer noch am Leben, obwohl Sie eine Schrotladung Kaliber zwölf in den Bauch bekommen haben. Allerdings muss es sich um eine Unterzieh-Weste handeln, die verdeckt getragen wird, also besitzt sie vielleicht neunzehn Kevlarschichten. Das reicht, um eine Neun-Millimeter-Kugel mit 365 Metern pro Sekunde aufzuhalten, aber nicht für neun gleich schnelle Schrotkugeln. Die Weste hat vielleicht fünfzig Prozent der Energie absorbiert, sodass keine Kugel bis zum Rückgrat durchgekommen ist, aber für Ihre Eingeweide hat es allemal gereicht. Dazu kommt noch die Kugel in Ihrer Schulter. Ihnen bleibt noch eine Viertelstunde, maximal. Und ich kann absolut nichts daran ändern.«
»Ruf … einen Notarzt.«
»Damit die Notrufzentrale meine Stimme auf Band hat? Ich glaube kaum.«
Er suchte nach dem Kerl, den er erstochen hatte, und zog ihm das Messer aus dem Rücken. Sonderanfertigung, hundert Prozent Keramik, mit gezackter Klinge und beidseitig geschliffener Spitze. Eine Waffe, die viel zu gut war, um sie an eine Leiche zu verschwenden, auch ohne ihren zusätzlichen sentimentalen Wert. Victor wischte die Klinge am Jackett des Toten ab, bevor er sie einklappte.
»Es tut mir … leid, was … passiert ist«, sagte Georg.
Ihre Stimme klang aufrichtig, aber Victor hatte die Erfahrung gemacht, dass unerträgliche Schmerzen bei Menschen oft das Bedürfnis weckten, sich zu entschuldigen. Er erhob sich.
»Hilf mir … bitte«, gurgelte sie zwischen Ächzen und Stöhnen hervor. »Oder bring mich um … diese Schmerzen …«
Einem Feind hätte Victor eine solche Geste verweigert, aber die sterbende Frau war nicht sein Feind und war es niemals gewesen. Victor trat näher. Wenige Zentimeter vor der Blutlache blieb er stehen und legte die Glock an.
Georg sah die Pistole und machte die Augen zu, um es nicht mit ansehen zu müssen. Nicht, dass ihr genügend Zeit geblieben wäre, um das Mündungsfeuer zu erkennen und sich vor der Kugel zu fürchten, oder dass das Gehirn genügend Zeit gehabt hätte, sich seiner eigenen Zerstörung bewusst zu werden. Aber Victor drückte nicht ab.
Stattdessen ging er in die Hocke und griff in Georgs Jackentasche. Er holte das Handy heraus und wählte die Notrufnummer, schaltete den Lautsprecher ein und drückte ihr das Ding in die Hand. Sie riss die Augen auf und starrte Victor entgeistert an.
»Denken Sie daran, mich zu vergessen«, sagte
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