Zero Option: Thriller
Gegner nicht nur sein eigenes Körpergewicht, sondern auch Kasakovs tragen musste. Für seine siebenundvierzig Jahre war Kasakov außergewöhnlich fit, und er beherrschte die Kunst, sich die Kräfte für einen Kampf genau einzuteilen, meisterhaft. Ihm war klar, dass er zu diesem Zeitpunkt eigentlich frischer hätte sein müssen, aber die Körpertreffer hatten ihm die Ausdauer geraubt. Und wenn er anfing, mit dem Russen zu ringen, der an die zehn Kilogramm schwerer war als er, dann vergeudete er nur noch mehr Energie. Das funktioniert nicht, sagte sich Kasakov.
Die Umstehenden feuerten ihn zwar immer noch an, doch ihre Rufe klangen geschlagen, genauso geschlagen, wie Kasakov sich fühlte. Sein Kampfeswille war erloschen. Der Russe befreite sich aus Kasakovs Umklammerung und stieß ihn weg. Kasakov war immer noch ein wenig benommen von der harten Rechten, und seine Beine waren kraftlos. Der nächste Volltreffer würde ihn auf die Bretter schicken. Sein Gegner schleuderte die Führhand nach vorn und ließ eine weitere rechte Gerade folgen, die Kasakov gerade noch mit dem linken Handschuh ablenken konnte. So viel Glück hatte er beim nächsten Mal vermutlich nicht mehr. Der Waffenhändler beugte sich nach rechts, machte einen Schritt vorwärts und setzte einen kurzen, linken Aufwärtshaken an.
Der Russe stöhnte, als der Boxhandschuh ihn mit voller Wucht in den Unterleib traf. Er trug natürlich, genau wie Kasakov, einen Unterleibsschutz, aber Metallschale hin und Polsterung her – ein Tiefschlag tat in jedem Fall höllisch weh. Der Russe ging in die Knie, das Gesicht rot angelaufen und schmerzverzerrt. Von außerhalb des Rings erklangen Jubelschreie, und einer der Speichellecker fing an zu zählen, laut und vernehmlich.
»Eins … zwei … drei … vier … fünf …«
Kasakov stand in der neutralen Ecke, die Ellbogen auf den obersten Seilstrang gestützt, und atmete schwer. Ein dicker Schweißfilm bedeckte jeden Quadratzentimeter seiner Haut. Der Russe blickte zu ihm auf, und Kasakov erkannte nicht nur Schmerz in seinem Gesicht, sondern auch Wut und Empörung. Er tat so, als hätte er es nicht bemerkt.
»Sechs … sieben … acht … neun … ZEHN.«
Kasakov hob eine Hand, um den Jubel seiner Untergebenen entgegenzunehmen. Er empfand keine Freude darüber, dass er regelwidrig den Sieg errungen hatte, aber auch keine Scham. Im Kampf mit einem übermächtigen Gegner musste ein kluger Mann jede Möglichkeit nutzen, um Chancengleichheit herzustellen. Der Russe kassierte für den Sparringskampf mit Kasakov eine stattliche Summe, also musste er auch die Regeln des Ukrainers akzeptieren.
Er kletterte aus dem Ring, nickte und lächelte seinen Untergebenen zu, die ihm zu einem großartigen Körpertreffer gratulierten. Einige hatten wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass der Schlag regelwidrig gewesen war, aber die Mehrzahl hatte mit Sicherheit freie Sicht auf das Geschehen gehabt. Niemand machte eine Andeutung, dass der Schlag womöglich auf dem Gürtel gelandet sein könnte, geschweige denn weit darunter. Der Vorzug der Angst, dachte Kasakov. Wenn Illarion das gesehen hätte, er hätte ihm zwar nicht geschmeichelt, aber er hätte Kasakovs Willen, um jeden Preis zu gewinnen, respektiert.
Ein Frontalzusammenstoß vor den Toren Kiews, bei dem Kasakovs einziger noch lebender Blutsverwandter – sein jüngerer Bruder – zusammen mit seiner Ehefrau ums Leben gekommen war, hatte Illarion zum Vollwaisen gemacht. Kasakov hatte sich entschlossen, das Richtige zu tun und den Jungen bei sich aufzunehmen. Vorher hatte Kasakov nichts für Kinder übriggehabt, aber die Gesellschaft des jungen Illarion schenkte ihm sehr viel mehr Freude, als er sich jemals hatte vorstellen können, und so betrachtete er ihn schon bald und entgegen all seinen Erwartungen wie einen Sohn. Kasakov hatte keine eigenen Kinder und war sicher, dass er unfruchtbar war, obwohl er sich jedem Fruchtbarkeitstest standhaft widersetzte. Er und seine Frau sprachen nie über diese Situation, aber es war der einzige dunkle Fleck auf ihrer ansonsten perfekten Ehe, und er wurde unentwegt größer.
Einer seiner Untergebenen band ihm die Handschuhe auf, und der Waffenhändler trocknete sich den schweißnassen Oberkörper, die Arme und das Gesicht mit einem weichen Handtuch ab.
Es dauerte noch eine Minute, bis der Russe wieder aufstehen konnte.
Als er geduscht und angezogen war, verließ Kasakov den Umkleideraum und trat auf zwei gut gekleidete Personen – einen Mann
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