ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
öffentliche Aufmerksamkeit kann so beklemmend sein wie ein Gefängnis. Aber sie hat auch mit Respekt zu tun. Die öffentliche Aufmerksamkeit vermittelt dir die Zuversicht, dass dein Leben für die anderen einen Wert hat. Sie sagt dir, dass du existierst.
Bruno Fuduli tritt im Prozess als Zeuge auf. Seinen Zinswucherern und den ihm aufgezwungenen Geschäftspartnern, aber auch den kolumbianischen Narcos, deren Freund er war, zeigt er sein Gesicht. Dann tritt er wieder zurück in den Schatten. Er wird zu einer investigativen Reportage über den Hafen von Gioia Tauro eingeladen. Treffpunkt ist der Bahnhof von Salerno, eine zufällige Wahl, da Fuduli an einem geheimen Ort lebt. Auch sein Gesicht kann nicht gezeigt werden. Beim Interview stehen sie am Meer. Bruno trägt eine Hose und ein weißes Hemd aus grobem Leinen. Neben dem Journalisten und seiner Begleiterin, einem Mädchen in Turnschuhen, wirkt er wie ein Riese. Auch seine Stimme ist tief, ein Bariton, und er spricht unaufgeregt. Er gerät nicht aus der Fassung, als er sagt, er habe Angst und leide unter Schlaflosigkeit. Seine Stimme verrät keine Emotion, als er von den zehn mit Pistolen und Maschinenpistolen bewaffneten Männern erzählt, die ihn während seiner Geiselhaft in Kolumbien bewachten. Als konstatiere er ein unumstößliches Faktum, sagt er schließlich, dass ihm eines Tages etwas zustoßen werde. Sie werden ihn suchen, sie suchen ihn bereits, und früher oder später werden sie ihn töten. Die ’Ndrangheta kann auch fünfzehn oder zwanzig Jahre später zuschlagen, aber sie vergisst nicht. Nur wenige Minuten, um das Resümee eines Lebens zu ziehen. Ein Körper ohne Gesicht. Dann erneut nichts. Zwei Jahre vergehen.
Anfang Dezember 2010 startet die Antimafiastaatsanwaltschaft Catanzaro die Operation Overloading. Sie wäre der
Abschluss einer Ermittlung zum Drogenhandel, wie es viele gibt, wenn nicht einige ungewöhnliche Personen beteiligt wären: ein Carabinieri-Oberst aus Bozen und ein junger, steinreicher Immobilienmakler aus Rom, der in den abgehörten Telefonaten den Spitznamen »Pupone« trug, wie der Fußballspieler Francesco Totti. Der Carabinieri-Oberst ist angeklagt, vom Flughafen Fiumicino Koffer abgeholt und an Empfänger in Rom übergeben zu haben. Dem Immobilienmakler wird vorgeworfen, dank seiner Freundschaft mit dem Boss der ’Ndrangheta Antonio Pelle, dem Neffen des soeben verstorbenen ’Ntoni Gambazza, an der Finanzierung von Kokainlieferungen beteiligt gewesen zu sein. Ein paar Monate später kommt heraus, dass er mit Hilfe einiger Dozenten der Universität Reggio Calabria zweiundzwanzig Prüfungen im Fach Architektur bestanden hat.
Die ersten Auftraggeber dieser Importe sind zwei ’ndrine von der tyrrhenischen Küste des Cosentino, die miteinander verbündet, aber trotz ihrer Gefährlichkeit eher unbedeutend sind. Sie wollen sich zunächst mit Kokain für ihr Gebiet eindecken und die überschüssige Ware in Norditalien verkaufen. Die Muto aus Cetraro und die Chirillo aus Paterno Calabro jedoch wollen keine halben Sachen machen. Deshalb engagieren sie Berto P. (Name geändert), den obersten Narco aus San Luca, der mit den Strangio verwandt ist, aber auch enge Beziehungen zu den Pelle pflegt. Über einen Spross der Pelle, der mit Er Pupone und Francesco Strangio, Pizzatas Schwager und ein Namensvetter des Bosses »Ciccio Boutique«, in Kontakt steht, sind beide Familien beteiligt. Der Profi erklärt, die Lieferungen per Frachter seien im Moment zu langsam, zu kompliziert und wirtschaftlich unrentabel. Er empfiehlt den Transport per Flugzeug aus Venezuela und Brasilien nach Amsterdam, Rom oder
Spanien mit Hilfe von Kurieren (»Mulis«), die die Kapseln schlucken und Koffer mit doppeltem Boden bei sich tragen. Pizzata pendelt zwischen Südamerika und Spanien, Holland und Deutschland. Dort hat er lange gelebt, und dort sucht er Zuflucht vor der Festnahme im Zuge der Operation Overload-ing. Er wird im Februar 2011 aufgespürt, als er in der Pizzeria La Cucina in Oberhausen bei Duisburg zu Abend isst.
Pizzata hat ein viel zu bewegtes und kompliziertes Leben, als dass er sich um alles kümmern könnte. Den Großteil der Koordination in Italien überträgt er daher Francesco Strangio und überwacht persönlich nur strategisch wichtige Aspekte wie die Beziehung zu Er Pupone, der Zugang zu römischen Politikerkreisen hat, die sich als sehr nützlich erweisen könnten. Dann erfährt er, dass die Bellocco aus Rosarno Kontakt zu einem
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