ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
kolumbianischen Agenten in Italien aufnehmen möchten, der riesige Mengen »Material« beschaffen kann, wie er Kokain am Telefon nennt. Ende 2008 schließen die beiden Gruppen eine strategische Allianz. Der Mann, der für die Familien von San Luca und von Rosarno den wertvollen Kontakt vermittelt hat, heißt Bruno Fuduli.
Am 16. Mai 2012 wird Bruno wegen Drogenhandels verhaftet und zu achtzehn Jahren Haft verurteilt. Wie ist das möglich? Wie ist es möglich, dass das Blatt, das dazu bestimmt war, zur Erde zu fallen und zu vermodern, zu den Zweigen des Baums zurückfindet? Wie ist es möglich, dass er in einer Ende Oktober 2008 ausgestrahlten Fernsehsendung erklärt, er sei sicher, dass sie ihn aufspüren und töten werden - und kurz danach mit seinen alten kolumbianischen Bekannten und Kunden der ’Ndrangheta wieder Kontakt aufnimmt? Die Richter gewähren ihm keinen Straferlass für seine Zusammenarbeit mit den
Behörden. Sie fühlen sich als Vertreter der betrogenen Justiz und des hintergangenen Staates.
Ich habe die Gerichtsakten studiert, um eine Antwort zu finden. Die Akten rekonstruieren die Daten und Fakten und die Abfolge der Ereignisse in allen Details, doch das Innere eines Menschen können sie nicht durchleuchten, schon gar nicht eines Menschen, der die Motive seines Handelns so geschickt zu verbergen weiß und dabei nicht einmal die Unwahrheit sagt. Die Akten zeigen, dass Bruno die ’Ndrangheta erneut genarrt hat. Er traf sich mit dem Vermittler der Narcos, er lud ihn sogar in seine Wohnung in der Gegend von Piacenza ein, und er begleitete ihn zu den Treffen mit Pizzata und Francesco Stran-gio, fast immer in der Nähe des Mailänder Hauptbahnhofs. Man hatte ihn im Rahmen des Zeugenschutzprogramms nach Fiorenzuola d’Arda im Piacentino geschickt, das von Mailand nicht allzu weit entfernt liegt. Doch die Männer aus San Luca und Rosarno bekommen ihn nie zu Gesicht. Bruno wird zum geheimen Regisseur und Organisator. Er evaluiert Kosten und Routen, studiert die Transportmittel, beschwichtigt und schlichtet. Er braucht jemanden, der bereit ist, als Schnittstelle zu den Käufern zu agieren. Und er findet einen alten Bekannten: Joseph Bruzzese, von Beruf Marmorschleifer, allerdings mit einer kriminellen Vergangenheit, die ihn in den Augen der ka-labrischen Familien qualifiziert. Er war es, der einem Statthalter der Bellocco den neuen »Weg« vorschlug. Und so kam der von Fuduli ersonnene Mechanismus in Gang.
Von der unglaublichen Fortsetzung von Bruno Fudulis Geschichte nehmen nur ein paar Zeitungen aus Kalabrien Notiz. Sie schreiben von »der Rückkehr zu seiner alten Liebe, der Kriminalität«, zu seiner »ursprünglichen >Passion<: dem Kokain«. Inflationär ist der Gebrauch von Anführungszeichen
bei Wörtern wie »Informant«, »Singvogel«, »Deep Throat«, »Verräter«. Die altbewährte Terminologie voll doppeldeutiger Ironie verrät Zufriedenheit darüber, dass »der superpentito erneut im Gefängnis sitzt. In Einzelhaft«. Sie äußern sogar Empörung über die Illoyalität eines Mannes, der sich in die Obhut des Staates begeben hat. Doch damit lassen sie den eigentlichen Grund des Skandals: dass es dem Informanten gelungen war, die oberen Ebenen der ’Ndrangheta zu infiltrieren, in den Hintergrund treten. Dieselben Zeitungen berichteten ausführlich über eine andere Geschichte, die einzig dokumentierte Episode im Leben Fudulis zwischen dem Ende des Prozesses und seiner Rückkehr zum Drogenschmuggel.
Am Vormittag des 21. Mai 2007 findet in der Innenstadt von Vibo Valentia eine Antimafiakundgebung statt, am selben Tag, an dem der neue Optikerladen von Nello Ruello eröffnet wird, der nach zehn Jahren Erpressung und Wucherzinsen beschlossen hat, seine Peiniger anzuzeigen und mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten. Auf dem Podium stehen der Bürgermeister und der Präfekt, ein Staatssekretär des Innenministeriums, der Vorsitzende der Antimafiakommission Francesco Forgione und der Gründer von Libera, Don Luigi Ci-otti. Zu den Demonstranten zählen rund hundert Studenten, Aktivisten der Gewerkschaften und der Antimafiaorganisationen, einige wenige Bewohner von Vibo Valentia und noch weniger Geschäftsleute. Eine Kundgebung, wie sie leider typisch ist im Land der Mafia. Doch bei der Abschlussrede kommt es zu einem kleinen Zwischenfall. Ein Mann springt auf die Absperrung des Rathausplatzes und ruft: »Wo ist mein Geld, wo sind meine fünftausend Kilo Kokain?« Die Lokalzeitungen
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