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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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den Bogen überspannt, als er entweder die Sache selbst in die Hand nehmen oder den ganzen Baum preisgeben wollte, besonders den Mancuso-Clan, der in allen Zeitungen und Fernsehnachrichten auftaucht, wo über Barbieri berichtet wird. Oder vielleicht beides. Die spektakuläre Beschlagnahme in Gioia Tauro im November 2010, die umfangreiche Ermittlungen nach sich zog, bedeutete einen schweren Schlag für die ungestörte Abwicklung der Geschäfte der gesamten Organisation. Womöglich war man in Kalabrien auch über die Machenschaften in San Marino auf dem Laufenden und betrachtete es als einen groben Fehler Barbieris, in einer Offshore-Oase nur hundert Kilometer vor der eigenen Haustür unter eigenem Namen ein Konto zu eröffnen.
    Vincenzo Barbieri und Francesco Ventrici wurden in der Presse immer nur mit Superlativen beschrieben: als übermächtige Bosse, überragende Broker des Drogenschmuggels und hochgefährliche Kriminelle. Gewiss, sie haben Tonnen von Drogen importiert. Doch aus der Nähe betrachtet verblasst ihr Glanz, und sie erscheinen als geldgierige Stümper von durchschnittlicher Intelligenz, hintergangen von jemandem, den sie sich zum Opfer auserkoren hatten. Was sie stark machte, war ihre Gewaltbereitschaft, weitaus mehr jedoch das Kokain. Die Kokaingelder. Kokaingelder, mit denen sie insolvente Banken kaufen konnten oder jene vierundvierzig Lkws, um die Supermärkte eines Discounters zu beliefern und daraus neue millionenschwere Gewinne zu generieren. Geldwäsche macht reich und immer reicher. Das ist alles.
    Weit mehr jedoch schmerzt es mich, dass ihre mittelmäßige Geschichte mehr Aufmerksamkeit erfahren hat als andere Geschichten. Außergewöhnliche Geschichten wie die von Bruno Fuduli. In den überregionalen Tageszeitungen Italiens erscheint nur eine kurze Meldung, der Hinweis auf einen Informanten, als die Operation Decollo publik wurde. Jahre später dann nur wenige Zeilen über El Monos Enthüllungen aus dem amerikanischen Gefängnis. Sonst nichts. Er bleibt unsichtbar. Unsichtbar wie fast alle, deren Zusammenarbeit mit der Justiz mit dem Schweigen der Öffentlichkeit bestraft wird. Die kleine Kerbe, die sie dem von der Angst gewässerten und von den Geschäften genährten Baum zufügen, bezahlen sie mit radikaler Entwurzelung. Sie, nicht die anderen. Nicht solche wie Ventrici und Barbieri, die hinter Gitter und dann wieder rauskommen wie beim Gänsespiel, um dann den Großteil ihrer Strafe zu Hause zu verbüßen, an einem Ort, den sie sich selbst ausgesucht haben, und im Kreis ihrer Familie, eingegliedert in die Gesellschaft. Dort können sie weiter ihren legalen und
    illegalen Interessen nachgehen, mit Unmengen Geld, das sie nach Belieben investieren und ausgeben können. Nur die Killer und die Bosse, die zu Gefängnisstrafen unter verschärften Bedingungen verurteilt werden oder gezwungen sind, ihr Kommando im Untergrund weiterzuführen, führen ein schlechteres Leben als jene, die mitgeholfen haben, sie zu entlarven.
    Doch sie genießen immerhin Respekt.
    Respekt. Ein Begriff, in den Schmutz gezogen von den Mafien überall auf der Welt, denen verwahrloste und brutale Jugendgangs nachzueifern suchen: Respecto, rufen die mittelamerikanischen Maras, wenn sie ein neues Mitglied bis aufs Blut peinigen. Respect, skandieren fette Gangsta-Rapper, behängt mit Goldketten und umringt von Mädels, die mit dem Hintern wackeln. Respekt, Bruder. Und doch besitzt auch dieses geschändete und lächerlich gemachte Wort noch einen unverbrüchlichen Wesenskern: die Gewissheit, einen Platz in der Welt und in der menschlichen Gemeinschaft beanspruchen zu dürfen, egal, wo man ist. Sogar in einem elenden Loch unter der Erde oder in der Leere einer Einzelzelle.
    Wer sich auf die Seite des Rechts stellt, verliert häufig auch diese Gewissheit. Was bleibt ihm? Kann die Entscheidung zur Freiheit in die radikalste Einsamkeit führen? Kann ein Akt der Gerechtigkeit mit einem Leben in Unglück vergolten werden? Mit Unsichtbarkeit. Der Unsichtbarkeit von Gespenstern. Dem Schattenreich des Lago d’Averno, Tor zur Unterwelt. Ich denke oft darüber nach, wenn ich den Vorwurf höre, ich bekäme zu viel öffentliche Aufmerksamkeit. Nichts kann die Freunde ersetzen, die man verliert, die Städte, die man verlassen muss, die Farben, die Gerüche, die Stimmen, die Bewegungsfreiheit eines Körpers, der spazieren gehen, sich auf ein Mäuerchen setzen und das Meer betrachten und spüren kann, wie der Wind unters Hemd fährt. Die

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