ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
geboren. Früher ist er kleinen Jobs und Betrügereien nachgegangen, die ihn fast in den Knast gebracht hätten. In den achtziger Jahren nutzt er seine Leidenschaft für den Ringkampf und schart Leute um sich, die sich für diesen Sport begeistern. Sind es die Anfänge eines Sportvereins? Oder ist es die Keimzelle einer künftigen Streitmacht?
Inzwischen wird Michas zweimal verhaftet: wegen Erpressung und wegen Mord an einem Kasinobesitzer. Doch aus Mangel an Beweisen wird er in beiden Fällen nicht verurteilt. Die Solnzewskaja Bratwa, wie die Gruppe um Michas genannt wird, gewinnt immer größeren Zulauf. Schweiß und Kampf. Gewalt und Kraft. Die Organisation zieht ihresgleichen an. Ringer, Rowdys, Männer, die zu allem bereit sind. Man muss zusammenhalten, um sich gegen andere Gangs zu verteidigen, man muss die Muskeln trainieren, wenn man überleben will. Nach dem Zusammenschluss mit anderen Organisationen - etwa der Orechowskaja - entwickelt sich die Solnzewskaja Bratwa in wenigen Jahren zu einer Macht, die ihren Einfluss über das Viertel hinaus ausweiten kann und damit auch Finanzen und Unternehmen unter ihre Kontrolle bekommt.
Das Kerngeschäft ist der »Schutz«, der in den neunziger Jahren ein Ausmaß erreicht, das mit dem italienischen pizzo, der Schutzgelderpressung, nicht vergleichbar ist. Dem FBI zufolge muss die österreichische Lebensmittelkette Julius Meinl jeden Monat 50 000 Dollar zahlen, um ihre Filialmärkte in Russland führen zu können. Coca-Cola weigert sich zu zahlen: es entspreche nicht der Konzernpolitik, Erpressungen nachzugeben. Am nächsten Tag bekommt die neue Fabrik nahe Moskau Besuch mit Maschinenpistolen und Granatwerfern. Bei dem Überfall werden zwei Wachleute schwer verletzt. Das Unternehmen erstattet bei den russischen Behörden Anzeige, aber der Fall bleibt ungelöst. Laut Interpol werden weitere multinationale Konzerne wie IBM, Philip Morris und kurioserweise Cadbury, Mars und Hershey’s ins Visier genommen, als schmecke der Gewinn aus der Erpressung einer Schokoladenfabrik besonders süß.
Die russische Mafia war dank Männern groß geworden, die die neuen Chancen klug und rücksichtslos zu nutzen wussten. Aber auch ihre Strukturen und Regeln haben sich bewährt, mit denen man in einer Zeit der großen Umwälzung die Herrschaft behält. In den Jahren, in denen ich nun schon in der kriminellen Unterwelt herumstöbere, konnte ich feststellen, dass kriminelle Organisationen stets durch dieselben Elemente begünstigt werden: ein Machtvakuum, die Schwäche und Kor-ruptheit eines Staates im Vergleich zu einer Organisation, die für Ordnung steht. Zwischen ganz unterschiedlichen Mafiaorganisationen bestehen oft frappierende Ähnlichkeiten. Die russischen Gruppen entstanden im Zuge der stalinistischen Repression, die Tausende von Verbrechern und politischen Dissidenten in den Gulags zusammenführte. Dort entstand auch die Gruppe der wory w sakone, die nach wenigen Jahren in den Gulags der UdSSR das Sagen hatte. Die Ursprünge der italienischen Organisationen liegen anderswo, aber das Hauptmerkmal, das ihnen ihr Überleben und ihren Fortbestand gesichert hat, ist dasselbe wie bei den Russen: die Regel. Die Regel hat unterschiedliche Ausprägungen in Riten und Mythen, in Geboten und Vorschriften, die buchstabengetreu zu befolgen sind, damit man als würdiges Mitglied der Organisation anerkannt oder überhaupt aufgenommen wird. Alles wird kodifiziert, alles geschieht innerhalb der Regel. Ehre und Treue sind dem Camorra-Mitglied genauso wichtig wie dem wor, und bestimmte Gesten und interne Sanktionen sind beiden heilig. Die Grundlage für das Ritual und damit für den internen Aufstieg ist hier wie dort der Wille, eine andere Wirklichkeit zu schaffen, in der andere Gesetze gelten, die genauso konsequent einzuhalten sind. Der camorrista und der wor werden durch eine Art Taufritual in die Organisation aufgenommen, Fehler werden bestraft und Erfolge belohnt. Es sind parallele Entwicklungen, die sich häufig überschneiden. Auch die Verhaltensweisen und die Öffnung gegenüber Neuerungen haben sich in ähnlicher Weise geändert. Früher war ein wor ein Asket, der weltlichen Genüssen abhold war und sich keiner Obrigkeit unterwarf. Er ließ sich die Knie tätowieren zum Zeichen, dass er vor den Behörden nie auf die Knie gehen würde. Heute sind Luxus und dessen Zurschaustellung zulässig. An der Cote d’Azur zu residieren ist keine Sünde mehr.
Die russischen Bosse tragen nur
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