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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Interesse, gegen das schmutzige Geld auch dann vorzugehen, wenn die Angeklagten nicht nachgewiesenermaßen Mitglieder einer kriminellen Organisation sind, sondern Vertreter jener Elite und jenes institutionellen Apparats, der den Mechanismus des Profits aus Drogengeldern schmiert. Mit dem Geld aus dem Kokaingeschäft werden erst Politiker und Beamte gekauft und anschließend durch deren Vermittlung die Protektion durch die Banken.
12 Die Zaren erobern die Welt
    »Amalfiküste, Sardinien, Costa del Sol, Toskana, Malta, Ibiza. Hier ist überall Russland!« Der das sagt, kennt den Unterschied zwischen der durchdringenden Kälte Moskaus und der wohltuenden Wärme der italienischen Küste. Er ist einer der vielen Russen, die in unser Land einfallen, wenn der Sommer Badehose und Sonnencreme verlangt. Die Russen sind überall, kaum hat man sie gesehen, schon kommt automatisch der Reflex: Russenmafia ... Als ob jeder reiche Russe ein Verbrecher wäre. Aber die russische Mafia, die Mafija mit dem »j«, ist ebenso massiv präsent wie komplex, schwer zu begreifen und zu erkennen. Wir haben ein Bild im Kopf, das auf Gemeinplätzen beruht, auf Erzählungen von Knastbrüdern, deren Körper über und über mit barbarischen Tätowierungen bedeckt sind, von ehemaligen Boxern mit zertrümmertem Nasenbein, brutalen ehemaligen Speznas, gewalttätigen Dealern, vollgepumpt mit Wodka und schlechtem Stoff. Die Mafija ist ganz etwas anderes. Um sich einen Überblick zu verschaffen, muss man zunächst die mächtigen Familien betrachten. Diese Familien werden nicht von Blutsbanden zusammengehalten, sondern vom gemeinsamen Interesse der Organisation. Und wie alle Familien besitzen sie ein Fotoalbum. Da ist alles drin: die Farben der Vergangenheit, die Gesichter der fernen Verwandten, die Schnappschüsse wichtiger Momente, die Erinnerungsorte.
    Auch das Fotoalbum der russischen Mafija kann man Seite für Seite betrachten, und ich habe immer wieder im Leben von »The Brainy Don« geblättert, dem Boss mit dem scharfen Verstand. Er ist der beste Beweis dafür, dass es heutzutage unvorstellbar ist, das Kommando zu führen, ohne zu schießen, aber ebenso unvorstellbar zu schießen, ohne zu wissen, wie man investiert. Ihn versuche ich, bis ins Innerste zu durchdringen, um vor allem mir selbst klarzumachen, wie das Big Business mit der Großkriminalität verflochten ist und dass jeder andere Weg heute unterlegen, sinnlos, beinahe unmöglich erscheint. Ich ging obsessiv seinen Spuren nach, hatte Halluzinationen und unzählige Male kam es mir so vor, als sähe ich ihn in der Bar einer Strandpromenade oder betrunken in einem Restaurant mit anderen Bandenmitgliedern. Halluzinationen. Aber Halluzinationen sollte man manchmal nachgehen, und so tauche ich in die Geschichte ein. Ich habe eine Sammlung mit Fotos der Protagonisten, eine Art Album, das ich über die Jahre zusammengetragen habe: Ich muss von etwas Handfestem ausgehen. The Brainy Don. Er sieht nicht gerade aus wie ein Mafioso, russisch sieht er aus, das schon, aber er könnte auch als Amerikaner, Deutscher, Spanier oder Ungar durchgehen. Auf den ersten Blick ist er nur ein beleibter älterer Herr, aber das ist auch schon eine Maske, eine perfekte Tarnung aus Fett. Wir neigen dazu, körperlich ungelenke Menschen auch geistig für wenig beweglich zu erachten. Für harmlos und unschädlich. Dieser Eindruck ist falsch, man muss schon genauer hinsehen. Auf seinem berühmtesten Foto streicht er mit seinen pummeligen Fingern über eine Zigarette. Er blickt nicht in die Kamera, sondern auf eine Stelle über dem Kopf des Fotografen. Sein Hemd und seine Weste feinster Machart schaffen es kaum, seine 130 Kilo zusammenzuhalten, die unter dem Stoff
    hervorquellen und Falten bilden. Er sitzt auf einem Bürostuhl. Ein Kamin in seinem Rücken ist von Marmorfliesen umrahmt, vor sich hat er einen Laptop, eine elegante Weitsichtbrille mit einem filigranen Gestell und einen gläsernen Aschenbecher, der erkennen lässt, dass das an diesem Tag nicht seine erste Zigarette ist. Er ist Geschäftsmann, ein mächtiger und reicher Mann an der Spitze zahlreicher Unternehmen aus den verschiedensten Branchen. Er ist selbstsicher, autoritär und arbeitsam. Tausenden von Angestellten erteilt er Anweisungen, er hat Bilanzen zu prüfen und abzusegnen, wichtige Entscheidungen zu treffen. The Brainy Don, das ist Semjon Judkowitsch Mogilewitsch. Am 20. Januar 2011 hat ihn das Time Magazine auf Platz eins der Liste der zehn größten

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