ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
war kein Boss. Sie schaffte es nicht, im Untergrund zu leben. Man könnte meinen, es gehöre nicht viel dazu, sich irgendwo weit weg eine neue Identität aufzubauen, und es reiche aus, Geld zu haben. Doch versteckt zu leben und sich immerfort zu verstellen ist eine Folter und erzeugt einen
psychischen Druck, dem nur wenige gewachsen sind. Nach Monaten in der Fremde hielt Sara es nicht mehr aus und rief ihre Mutter in Mexiko an. Die Polizei ging davon aus, dass dies früher oder später geschehen würde, und überwachte ihr Telefon. Saras Fehler brachte die DEA auf die Spur des Bosses, seines Hauses, seines neuen Lebens. Sie kamen ihn holen. Caro Quintero und Don Neto verweigerten die Zusammenarbeit mit der Justiz und schoben die Verantwortung für den Mord an Kiki auf den Boss Felix Gallardo alias El Padrino. Sie seien nur an der Entführung beteiligt gewesen, erklärten sie. Wahrscheinlich war diese Aussage mit El Padrino abgesprochen, der in Mexiko die politische Unterstützung hoher Staatsbeamter genoss. Aber die Organisationen lehren, dass es nur eine Regel gibt: die des »Wer bietet mehr«. In den vier Jahren nach Kikis Tod hatte die US-amerikanische Polizei die Protektion, die Felix Gallardo genoss, systematisch demontiert. Um an den Padrino heranzukommen, mussten sie das ganze Netzwerk aufdröseln, das ihn schützte. In der Politik, der Justiz, der Polizei und unter den Journalisten. Viele von denen, die vom Guadalajara-Clan bezahlt worden waren, um den Padrino und seine Leute zu schützen, wurden entweder verhaftet oder aus ihrem Amt entlassen. Zu denen, die vor Gericht gestellt wurden, gehörte auch der Chef von Interpol Mexiko, Miguel Aldana Ibarra, der über Informationen zu den Ermittlungen und zum Kokainhandel verfügte. Auch er stand auf der Gehaltsliste des Padrino und gab die Informationen zuerst an die Narcos und erst dann an seine Vorgesetzten weiter. El Padrino wurde am 8. April 1989 verhaftet. Ein paar Jahre später wurde er in das Hochsicherheitsgefängnis in El Altiplano gebracht, wo er bis heute eine vierzigjährige Haftstrafe verbüßt.
El Padrino, Rafael Caro Quintero, Ernesto Fonseca Carrillo: alle hinter Gittern. Doch diese Geschichten gehen offenbar nie zu Ende, wie Caro Quintero zeigt, der am Abend des 9. August 2013 erneut die frische Luft der Freiheit atmet. Ein Bundesgericht in Guadalajara stellte in dem Prozess wegen Entführung, Folter und Mord an Kiki Camarena einen »Verfahrensfehler« fest. Das Bundesgericht, das Caro Quintero verurteilt hatte, sei dazu nicht befugt gewesen, da der DEA-Polizist nicht im diplomatischen oder konsularischen Dienst gestanden hatte. Der Prozess hätte vor einem einfachen Gericht stattfinden müssen - eine juristische Spitzfindigkeit, die ausreichte, um einen der größten mexikanischen Bosse auf freien Fuß zu setzen. Doch in den Vereinigten Staaten sind Verfahren gegen ihn wegen verschiedener Straftaten anhängig. Das US-Außenminis-terium hat daher eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für Hinweise ausgesetzt, die zu seiner Ergreifung führen. Die Amerikaner wollen ihn erneut hinter Gittern sehen, diesmal hinter den eigenen.
Der Mord an Kiki Camarena und die nachfolgenden Ereignisse stellen einen Wendepunkt im Kampf gegen den mexikanischen Drogenhandel dar. Man erkannte, wie unbehelligt die Kartelle bislang agieren konnten. Einen DEA-Agenten direkt vor dem US-amerikanischen Konsulat am helllichten Tag zu entführen, zu foltern und zu töten war mehr, als sie bis dato gewagt hatten. Camarenas Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Er hatte früher als andere erkannt, dass sich die Strukturen geändert hatten, dass es sich längst nicht mehr nur um eine Gruppe von Gangstern und Schmugglern handelte. Er hatte erkannt, dass es um einen Kampf gegen die Bosse des Drogenhandels ging, dass die Beziehungen zwischen den staatlichen Behörden und den
Schmugglern zerschlagen werden mussten und dass die massenweise Verhaftung der Handlanger nichts nützte, wenn die Ströme nicht ausgetrocknet wurden, die die Märkte mit Geld versorgten und die Macht der Bosse stärkten. Kiki hatte den unaufhaltsamen Aufstieg dieses kriminellen Bürgertums studiert. Die Geldströme interessierten ihn mehr als die Killer oder die Dealer. Er hatte etwas verstanden, mit dem sich die USA bis heute schwertun: Man muss der Hydra den Kopf abschlagen und die großen Bosse treffen; die Gliedmaßen sind nur ausführende Organe. Und er hatte verstanden, dass der Vertrieb im Vergleich zu
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