ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
den Produzenten immer mächtiger wurde. Dieses Gesetz der Wirtschaft gilt auch für das Geschäft mit den Drogen. Für die kolumbianischen Produzenten begann eine Zeit der Krise, ebenso für das Medellin- und das Cali-Kartell und für die Guerillagruppen der FARC, der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens.
Kikis Tod lenkte die Aufmerksamkeit der US-amerikanischen Öffentlichkeit in nie dagewesener Weise auf das Problem des Drogenhandels. Nachdem man seine Leiche gefunden hatte, begannen viele Amerikaner, zunächst in Calexico, Kalifornien, Kikis Geburtsstadt, zum Gedenken an seine Schändung und die körperlichen Leiden rote Schleifen zu tragen. Im Namen des Opfers, das Camarena im Kampf gegen die Drogenmafia gebracht hatte, riefen sie dazu auf, dem Drogenkonsum zu entsagen. In Kalifornien und später überall in den Vereinigten Staaten wurde die Red Ribbon Week veranstaltet, die »Woche des roten Bandes«, die bis heute alljährlich im Oktober zur Drogenprävention ausgerufen wird. Kikis Geschichte wurde für das Fernsehen und das Kino verfilmt.
Vor seiner Verhaftung hatte El Padrino die Bosse überzeugen können, nicht mehr mit Opium zu handeln, sondern sich ganz auf Kokain zu konzentrieren, das in Südamerika produziert und in den USA konsumiert wurde. Das war jedoch keineswegs das Ende des Anbaus von Marihuana und Schlafmohn in Mexiko. Dieser Anbau geht weiter, ebenso der Handel und der Export. Allerdings haben Marihuana und Opium an Bedeutung verloren, sie wurden von Kokain und später von hielo, Ice oder Methamphetamin, zunehmend verdrängt. Die Weichenstellungen bei dem Treffen in Acapulco wenige Monate vor El Padrinos Festnahme hatten zu einem Wachstum der Organisationen geführt. Ohne die Führung und die unumstrittene Autorität des Bosses jedoch kam es zu erbitterten Territorialstreitigkeiten unter denen, die übrig geblieben waren. Der Krieg der Kartelle begann bereits Anfang der neunziger Jahre. Ein Krieg fern der medialen Öffentlichkeit, da kaum jemand an die Existenz von Drogenkartellen glaubte. Doch je blutiger der Konflikt wurde, desto mehr Ruhm und Popularität gewannen seine Protagonisten. Sie sind Haie. Haie, die die Zerrüttung Lateinamerikas in Kauf nehmen, um den Drogenmarkt zu beherrschen, der heute allein in Mexiko ein Volumen zwischen 25 und 50 Milliarden Dollar jährlich besitzt. Die Wirtschaftskrise, der von Derivaten und faulen Krediten gebeutelte Finanzsektor, die entfesselten Börsen zerstören fast überall die Demokratie, vernichten Arbeitsplätze und Hoffnungen, vernichten Kapital und zerstören Menschenleben. Die kriminelle Wirtschaft dagegen wird von der Krise nicht zerstört, sondern gestärkt. Mit diesem neuzeitlichen Big Bang, dem Ursprung schnellfließender Finanzströme, entstand die Welt, in der wir heute leben. Der Kampf der Ideologien, der Kampf der Kulturen, religiöse und kulturelle Konflikte sind nur Episoden im Weltgeschehen. Die Wunde aber, die das kriminelle Kapital schlägt, verschiebt sämtliche Koordinaten. Lässt man die
kriminelle Gewalt der Kartelle außer Acht, erscheinen alle Beurteilungen und Interpretationen der Krise unplausibel. Die Macht der Kartelle gilt es genauer zu betrachten, es gilt, ihr ins Gesicht, in die Augen zu sehen. Sie hat die Grundlagen der modernen Welt gelegt und ein neues Universum geschaffen. Von hier nahm der Big Bang seinen Ausgang.
Kokain # 2
Nicht Heroin macht dich zum Zombie. Nicht der Entspannung-sjoint, von dem du blutunterlaufene Augen bekommst. Die Leistungsdroge par excellence ist Kokain. Mit Kokain kannst du alles erreichen. Bevor Kokain dein Herz stillstehen lässt und dir die Birne zermatscht, bevor du keinen mehr hochkriegst und dein Magen ein eiterndes Geschwür wird, wirst du mehr arbeiten, dich mehr amüsieren und mehr ficken können als jemals zuvor. Kokain ist die erschöpfende Antwort auf das dringendste Bedürfnis unserer Zeit: die Aufhebung von Grenzen. Mit Kokain wirst du intensiver leben. Du wirst kommunikativer sein, das oberste Gebot des modernen Lebens. Je kommunikativer du bist, desto glücklicher bist du, desto besser bist du drauf, desto mehr Gefühle wirfst du in die Waagschale, desto mehr verkaufst du. Egal womit, du kommst mit allem besser an. Immer besser. Aber unser Körper funktioniert nicht nach diesem Prinzip des »immer mehr«. Irgendwann klingt die Erregung ab. Und der Körper kehrt in einen Zustand der Ruhe zurück. Und genau hier setzt das Kokain an. Es leistet Präzisionsarbeit, denn
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