ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
der Haut ergaben, dass die Leiche an einem anderen Ort verscharrt und erst später zur Fundstelle gebracht worden war. Zu dieser Grube, wo Kikis Leiche ursprünglich verscharrt gewesen war, führte Don Arturo, der
alte Opiumschmuggler, seine Söhne und legte Blumen nieder. Und als seine Enkel und die Kinder seiner Enkel ihn um Erlaubnis baten, in die Drogenkartelle einzutreten, für die Narcos zu arbeiten, den Narcos Land zu geben, schwieg Arturo. Er, der einstmals geachtete Opiumschmuggler, hatte all dies aufgegeben, doch seine Nachkommen, inzwischen weit verzweigt, verstanden nicht, warum. Sie verstanden ihn nicht, bis der Alte sie zu diesem Erdloch führte. Und dann erzählte er von Kiki und von dieser Hündin, die er als Kind gesehen hatte. Er erzählte die Geschichte und machte damit sein Verbot plausibel. Es war die Art und Weise, wie die Hündin sich ins Feuer gestürzt hatte, um die Welpen herauszuholen. Don Arturo wusste, dass er den Mut dieser Hündin haben musste.
Die Geschichte von Kiki Camarena sollte eigentlich nicht mehr wehtun, ja vielleicht brauchte sie gar nicht mehr erzählt zu werden, denn sie ist längst bekannt. Eine erschütternde Geschichte. Eine Geschichte, die man für marginal halten könnte, weil sie sich in einem unbekannten und belanglosen Winkel der Erde zugetragen hat. Aber sie ist zentral. Fast möchte ich sagen, sie ist der Ursprung der Welt, wie wir sie heute kennen. Es gilt zu verstehen, wo das Seufzen und Stöhnen des Planeten Erde, wo seine Kreisbahnen, seine Ströme, sein Blut, seine Grausamkeit und die Richtung, die er nimmt, ihren Ursprung haben. Die Welt, in der wir heute leben, die Wirtschaft, die unseren Alltag und unsere Entscheidungen bestimmt, ist in weit größerem Maße von den Beschlüssen und Taten Felix Gallardos »El Padrino« und Pablo Escobars »El Magico« geprägt, als von denen Reagans und Gorbatschows. Dies ist zumindest meine Auffassung.
Mehrere Zeugen berichten, dass El Padrino 1989 die mächtigsten mexikanischen Narcos zu einem Treffen in einem
Resort in Acapulco zusammenrief. Während die Welt den Fall der Berliner Mauer erwartete, während man die Zeit der kummervollen deutschen Teilung und des Kalten Kriegs, des Eisernen Vorhangs und der unüberwindlichen Grenzen hinter sich ließ, wurde in dieser Stadt im Südwesten Mexikos heimlich, still und leise über die Zukunft der Welt entschieden. El Padrino beschloss, die von ihm gesteuerten Aktivitäten des Drogenhandels aufzuteilen und in die Hände der Schmuggler zu legen, die noch nicht ins Visier der DEA-Fahnder geraten waren. Er teilte das Territorium in Zonen oder plazas auf und vertraute sie Männern an, die das alleinige Recht erhielten, den Drogenschmuggel in ihrem Gebiet abzuwickeln. Wer ein Terrain betrat, das außerhalb der eigenen Kontrolle lag, musste dem dort herrschenden Kartell eine bestimmte Geldsumme bezahlen. Damit sollte den Kämpfen um die Kontrolle strategisch wichtiger plazas ein Ende gesetzt werden. Felix Gallardo schuf so ein Modell, das die Symbiose der Kartelle garantierte.
Doch die Aufteilung des Territoriums brachte noch weitere Vorteile. Seit der Geschichte mit Kiki, für El Padrino noch immer eine offene Wunde, waren vier Jahre vergangen. Nie hätte er damit gerechnet, jemals auf diese Weise hintergangen zu werden. Deshalb musste er nun die gesamte Produktions- und Lieferkette stärken und verhindern, dass ein schwaches Glied dieser Kette letztlich die ganze Organisation in die Knie zwang. Die Organisation war von nun an kein monolithischer Block mehr, der von den Ordnungskräften mit einer einzigen Razzia zerschlagen werden konnte. Sie würde auch dann nicht untergehen, wenn ihr die politische Protektion entzogen wurde oder wenn der Wind sich drehte. Die eigenständige Bewirtschaftung der Zonen erhöhte auch den
unternehmerischen Spielraum der einzelnen Gruppen, und die Bosse konnten ihre plazas aus der Nähe besser kontrollieren. Investitionen, Marktbeobachtung, Wettbewerb: All dies schuf mehr Möglichkeiten und ein größeres Betätigungsfeld. Mit anderen Worten, El Padrino leitete eine Revolution ein, deren Folgen bald weltweit zu spüren sein sollten: Er privatisierte den mexikanischen Drogenmarkt und öffnete ihn für die Konkurrenz.
Bei der besagten Versammlung der Bosse soll es keineswegs lautstark hergegangen sein. Keine Szenen, kein Melodrama, keine Komödie. Die Bosse kamen, parkten und nahmen an den Tischen Platz. Es gab nur wenige Leibwächter. Eine
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