ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
es muss sich in jede einzelne Zelle einschleusen, genau da, wo sie sich teilt, am synaptischen Spalt, und einen zentralen Mechanismus blockieren. Es ist wie beim Tennisspiel, wenn man einen unerreichbaren Longline-Ball ins gegnerische Feld spielt. In diesem Augenblick steht die Zeit still, und alles erscheint vollkommen: Innere Ruhe und Kraft befinden sich in völligem Gleichgewicht. Das Gefühl des
Wohlbefindens wird durch den mikroskopisch kleinen Tropfen einer Substanz ausgelöst, den Neurotransmitter, der in den synaptischen Spalt fällt. Die Folge ist eine Erregung der Zelle, die auf die Nachbarzelle übergreift und immer weiter, bis in kürzester Zeit Millionen von Zellen an diesem Erregungsmuster beteiligt sind. Das Leben kommt in Schwung. Dann kehrst du zur Grundlinie zurück, und auch dein Gegner macht sich bereit, sich erneut mit dir zu messen. Das Gefühl von vorhin ist nur noch ein schwacher Nachhall. Der Neurotransmitter wurde resorbiert, die Impulse zwischen den Zellen sind blockiert. Hier tritt das Kokain erneut in Aktion. Es hemmt die Resorption der Neurotransmitter, und die Zellen feuern unablässig, als wäre das ganze Jahr Weihnachten: ein festliches Lichtermeer, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Dopamin und Noradrenalin heißen die Neurotransmitter, nach denen das Kokain verrückt ist und von denen es nicht lassen kann. Mit Dopamin stehst du im Mittelpunkt der Party, denn plötzlich fällt dir alles viel leichter. Reden, flirten, sympathisch wirken und dich anerkannt fühlen. Noradrenalin wirkt unterschwelliger. Es intensiviert deine Wahrnehmung der Welt. Wenn ein Glas zu Boden fällt, siehst du es früher als alle anderen. Wenn ein Fenster zuschlägt, hörst du es zuerst. Wenn dich jemand ruft, drehst du dich um, noch bevor man deinen Namen ganz ausgesprochen hat. So funktioniert Noradrenalin. Es erhöht die Wachsamkeit und die Alarmbereitschaft, deine Umgebung ist plötzlich voller Gefahren und Bedrohungen, sie wird feindselig, und du erwartest ständig ein Unheil oder einen Angriff. Die Angst-Alarm-Reaktionen sind beschleunigt, du reagierst sofort und unvermittelt. Die Tür zur Paranoia steht sperrangelweit offen. Kokain ist der Sprit des Körpers. Das Leben wird in die dritte Potenz erhoben, bevor es dich verbraucht und zerstört. Doch für dieses potenzierte Leben, das dir scheinbar geschenkt wird, zahlst du Wucherzinsen. Vielleicht erst später. Aber später zählt nicht. Entscheidend ist nur das Hier und Jetzt.
3 Krieg um das weiße Öl
In Mexiko fängt alles an. Die Welt, in der wir heute leben und atmen, das ist China und Indien. Aber auch Mexiko. Wer Mexiko nicht kennt, kann nicht verstehen, wie heute auf diesem Planeten Reichtum generiert wird. Wer nicht auf Mexiko schaut, wird niemals das Schicksal der Demokratien begreifen, die von den Drogenhandelsströmen umgestaltet wurden. Wer sich Mexiko nicht ansieht, findet nicht die Spur, um den Geruch des Geldes zu erkennen. Er wird nicht verstehen, wie der Geruch des kriminellen Geldes als Wohlgeruch erscheinen kann, der nichts zu schaffen hat mit dem Modergestank von Tod, Elend, Barbarei und Korruption.
Wer Kokain verstehen will, muss Mexiko verstehen. Die Nostalgiker der Revolution, die in Lateinamerika ein Refugium gefunden haben oder in Europa alt geworden sind, blicken auf dieses Land wie auf eine alternde Geliebte, die mit einem reichen Mann unglücklich verheiratet ist. Einst, als sie noch arm und jung war, hat sie sich mit einer Leidenschaft hingegeben, die ihr Ehemann mit all seinem Geld niemals kennenlernen wird. Die anderen Beobachter sehen nur das, was sich ihrem Blick bietet: ein Land der entsetzlichen Gewalt, einen nicht endenden grausamen Bürgerkrieg, den soundsovielten in einem Land, das nicht aufhört zu bluten. Aber in Mexiko wiederholt sich auch eine altbekannte Geschichte: die Geschichte eines Krieges, der immer weiter um sich greift, weil die Kriegsherren stark sind und die Staatsgewalt, die sie
eigentlich in die Schranken weisen sollte, morsch oder schwach ist. Wie in der Feudalzeit, wie im Japan der Samurai und der Shogune, wie in den Tragödien William Shakespeares. Und doch ist Mexiko kein entlegenes Land, das in einem modernen Mittelalter versunken ist. Mexiko lässt sich nicht beschreiben. Es ist einfach Mexiko. Hier und jetzt. Hier, wo der Krieg längst alle Grenzen sprengt. Hier, wo die Warlords die begehrteste Ware der Welt besitzen. Es ist der Krieg des weißen Pulvers, das viel Geld einbringt, so
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