ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
viel, dass es gefährlicher ist als Öl.
Die Quellen des weißen Öls liegen im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa. Sinaloa liegt am Meer. Seine Flüsse fließen von der Sierra Madre hinunter zum Pazifik, und es ist so wunderschön, dass man meint, es könne dort nichts anderes geben als gleißendes Licht und nackte Füße im Sand. So möchte der Schüler antworten, wenn er von der Erdkundelehrerin zu den Schätzen des Landes befragt wird. Opium und Cannabis, Frau Lehrerin, müsste er stattdessen sagen. Und zwar so viel davon, dass es seine Schule nur deswegen gibt, weil die Großväter Marihuana und Opium angebaut haben. Dank des Kokains haben ihre Kinder heute Universitätsabschlüsse und Arbeit. Doch wenn er das antworten würde, bekäme er eine schallende Ohrfeige und einen Eintrag ins Klassenbuch, wie es zu meiner Zeit hieß. Der Schüler gibt also wohlweislich die Antwort, die in den Erdkundebüchern steht: dass der Reichtum des Bundesstaates auf Fisch, Fleisch und biologischer Landwirtschaft beruht. Doch bereits im 19. Jahrhundert brachten chinesische Kaufleute das Opium nach Sinaloa. Das schwarze Gift, wie sie es nannten. Und Sinaloa wurde zum Opiumanbaugebiet. Schlafmohn kann man praktisch überall anbauen. Wo Getreide wächst, gedeiht auch Schlafmohn. Entscheidend ist das Klima: weder zu große Hitze noch zu viel Feuchtigkeit, kein Frost und
kein Hagel. Und Sinaloa hat ein gutes Klima, es hagelt so gut wie nie, und das Meer ist immer in der Nähe.
Heute hat das Sinaloa-Kartell alle Konkurrenten aus dem Feld geschlagen und übt die uneingeschränkte Macht aus, zumindest bis zum nächsten Umbruch. Die Droge garantiert Vollbeschäftigung und ernährt ganze Generationen: Bauern und Politiker, Junge und Alte, Polizisten und Nichtstuer. Sie muss produziert und gelagert, transportiert und geschützt werden. Und ganz Sinaloa ist tatkräftig daran beteiligt. Das Kartell agiert im Goldenen Dreieck, und mit einem Territorium von 650 000 Quadratkilometern ist es das größte in Mexiko. Unter seiner Führung wird ein bedeutender Teil des Kokainhandels mit den Vereinigten Staaten abgewickelt. Die Narcos von Sin-aloa sind in mehr als achtzig amerikanischen Städten vertreten, mit Zellen vor allem in Arizona, Kalifornien, Texas, Chicago und New York. Sie beliefern den amerikanischen Markt mit Kokain aus Kolumbien. Nach Angaben der US-Generalstaat-sanwaltschaft war das Sinaloa-Kartell zwischen 1990 und 2008 für Einfuhr und Vertrieb von mindestens 200 Tonnen Kokain und von großen Mengen Heroin in die Vereinigten Staaten verantwortlich.
Der Bundesstaat Sinaloa ist das Reich von El Chapo, der in den USA mehr zählt als ein Minister. Koks, Marihuana, Amphetamine: Ein Großteil der Substanzen, die die Amerikaner schnupfen, rauchen und schlucken, wandert durch die Hände seiner Männer. Seit 1995 ist er der oberste Boss der Gruppe, die sich 1989 aus der Asche des Guadalajara-Kartells erhoben hat. El Chapo, »der Kurze«. Denn seine Körpergröße ist sein Kapital. Ein Meter siebenundsechzig eiserne Entschlossenheit. Niemand darf es wagen, auf ihn herunterzublicken. Seine geringe Größe kompensiert er durch
Schläue und Charisma, Verführungskraft und Führungsstärke. El Chapo erhebt sich nicht über seine Männer, er beherrscht sie nicht, und er besticht nicht durch körperliche Größe. Dafür genießt er ihr unerschütterliches Vertrauen. Sein wirklicher Name ist Joaqum Archivaldo Guzman Loera, geboren vermutlich am 4. April 1957 in La Tuna de Badiraguato, einem Dorf in der Sierra, den Bergen des Bundesstaats Sinaloa, mit ein paar hundert Einwohnern. Wie alle in La Tuna war auch Joaqums Vater Viehzüchter und Bauer, und er erzog seinen Sohn mit Schlägen und harter Feldarbeit. Es waren die Jahre des Opi-umanbaus, und die ganze Familie musste mit anpacken: eine kleine Armee, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die Schlafmohnfelder bestellte. El Chapo arbeitete sich hoch, denn bevor er den Männern auf unwegsamen Straßen zu den Feldern folgen konnte, musste er seiner Mutter zur Hand gehen und dann seinen älteren Brüdern das Essen aufs Feld bringen. Ein Kilo Rohopium brachte der Familie 8000 Pesos ein, 700 Dollar nach heutigem Wert, und dieses Rohopium musste El Chapos Vater zum nächsten Glied der Wertschöpfungskette befördern: nach Culiacan, der Hauptstadt des Bundesstaats Sinaloa, oder in andere Städte. Keine leichte Aufgabe, wenn man nur ein einfacher Bauer ist. Doch El Chapos Vater war mit Pedro Aviles
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