ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
hinter Gittern zu bleiben. Der Oberste Gerichtshof hat ein Gesetz verabschiedet, das die Auslieferung von Mexikanern an die Vereinigten Staaten erleichtert, sofern dort Anklage erhoben wurde. Die Überstellung in eine amerikanische Haftanstalt wäre das Ende für den Boss. El Chapo wählt den Abend des 19. Januar 2001. Der Besuch einer Delegation hochrangiger mexikanischer Beamter steht bevor, die den Missständen im Gefängnis ein Ende bereiten wollen. Für El Chapo kein Problem: Er hat seine Flucht bereits organisiert und die Wachen bestochen. Der Gefängniswärter Francisco Camberos Rivera, genannt El Chito, schließt ihm die Zelle auf und versteckt ihn in dem Wagen mit der Schmutzwäsche.
Durch unbewachte Flure und elektronisch gesicherte Türen gelangen sie auf den Gefängnisparkplatz, der von einem einzigen Posten bewacht wird. El Chapo springt aus dem Wäschewagen in den Kofferraum eines bereitstehenden Chevrolet Monte Carlo. El Chito sitzt bereits am Steuer und bringt ihn in die Freiheit.
Damit wird El Chapo zum Helden, zur Legende. Aber er führt in Ruhe sein Kartell weiter, unterstützt von seinen engsten Vertrauten: Ismael Zambada Garda, »El Mayo«, Ignacio Coronel Villarreal, genannt »Nacho«, der am 29. Juli 2010 bei einem Einsatz der mexikanischen Armee getötet wird, und seinem Berater Juan Jose Esparragoza Moreno, wegen seines dunklen Teints »El Azul«, »der Blaue«, genannt. Seit Gründung des
Sinaloa-Kartells 1989 waren sie zehn Jahre lang die unangefochtenen Drogenbarone Mexikos.
Ein paar Jahre arbeitet El Chapo auch mit den Beltran Leyva zusammen, fünf Brüdern, die auf Schmiergeldzahlungen und Einschüchterungen, vor allem aber auf die Unterwanderung der mexikanischen Politik, Justiz und Polizei spezialisiert sind. Sie haben sogar Verbindungen zu den Interpol-Büros, die in der US-Botschaft und am Flughafen von Mexico City eröffnet worden sind. Deshalb beschließt das Sinaloa-Kartell, sie zu rekrutieren. Die Beltran Leyva sind eine familiengeführte Armee, eine entartete Zelle, die sich seit Ende der neunziger Jahre für die großen Kartelle als nützlich erwiesen hat. Sie genießen El Chapos Vertrauen und haben stets zu ihm gestanden, auch als seine Autorität bedroht war: zum Beispiel zwei Jahre nach seiner Flucht aus dem Gefängnis, als im Staat Tamaulipas ein Machtvakuum entstand und Nuevo Laredo zum Schauplatz eines erbitterten Kriegs um die Kontrolle der Schmuggelroute nach Texas wurde - ein strategisch wichtiger Korridor mit direktem Zugang zur berühmten Interstate 35, auf der vierzig Prozent der Drogen aus Mexiko in die USA gelangen. Aber für die Narcos gibt es kein Machtvakuum, und wenn, dann wird es schnell wieder gefüllt. Das Territorium zu besetzen ist die erste Regel, und wenn ein Boss hopsgeht, beanspruchen sofort andere seinen Platz. Den Auftrag, den Nordosten Mexikos in Besitz zu nehmen, bevor es andere tun, überträgt El Chapo einem der fünf Brüder Beltran Leyva, Arturo, der daraufhin den bewaffneten Arm Los Negros gründet und den richtigen Mann als Kommandanten einsetzt: Edgar Valdez Villarreal.
Der kräftige Junge mit den hellen Haaren und den blauen Augen hatte in der Football-Mannschaft seiner Highschool in Laredo den Spitznamen La Barbie. »Du siehst aus wie Ken«,
meinte der Trainer, »aber ich werde dich La Barbie nennen.« Doch La Barbies amerikanischer Traum ist nicht ein Collegeabschluss und eine schönere und komfortablere Wohnung als die seines in die USA eingewanderten Vaters. Sein Traum ist ein Haufen Geld, und das findet er jenseits der Grenze, in Nuevo Laredo. Der amerikanische Pass macht La Barbie noch reizvoller. Er liebt die Frauen, und die Frauen lieben ihn. Er hat eine Schwäche für Designerklamotten von Versace und für Luxusautos. Der Unterschied zu El Chapo könnte nicht größer sein, doch der lässt sich vom ersten Eindruck nicht täuschen.
Er wittert den Blutgeruch, der die plaza von Nuevo Laredo tränkt, und spürt die Sehnsucht des Neulings, sich zu bewähren. Ein Kampf steht an zwischen Los Negros und Los Zetas, dem bewaffneten Arm des Golf-Kartells mit einer Neigung zu makabren Inszenierungen. La Barbie sagt begeistert zu und beschließt, mit denselben Waffen zu kämpfen wie seine Gegner. Ein Video auf Youtube zeigt kniende Männer, einige mit nackten, von Schlägen gezeichneten Oberkörpern. Es sind Zetas, und sie wurden zum Tod verurteilt. Wie Los Zetas verbreiten auch Los Negros ihre grausamen Taten über das Internet - eine
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