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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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überhaupt weißt, wie dir geschieht.«
    »Dilettanten im Vergleich zu den Liberianern. Sie reißen dir bei lebendigem Leib das Herz heraus und essen es.«
    Ein Spiel so alt wie die Menschheit. Eine Rangliste der Grausamkeiten, die Top Ten der grausamsten Völker.
    »Und die Albaner erst! Denen reicht es nicht, nur dich kaltzumachen. Nein, sie kümmern sich auch um die künftigen Generationen. Die machen Tabula rasa.«
    »Die Rumänen stülpen dir eine Plastiktüte über den Kopf, binden dir die Handgelenke im Genick zusammen und überlassen dich deinem Schicksal.«
    »Die Kroaten nageln dir die Füße zusammen, und du kannst nur beten, dass dich der Tod so schnell wie möglich erlöst.«
    Die Schilderung von Bluttaten, Terror und sadistischer Gewalt setzt sich noch eine Weile fort, bis zur unvermeidlichen Aufzählung der Spezialeinheiten: der französischen Fremdenlegion, des spanischen El Tercio, des brasilianischen BOPE.
    Ich sitze an einem runden Tisch. Die Männer um mich herum berichten nacheinander von ihren Erfahrungen und spekulieren über die kulturellen Eigenheiten der Völker, die sie im Rahmen von Friedensmissionen in den jeweiligen Territorien kennengelernt haben. Es ist ein Ritual, ein durchaus rassistisches, sadistisches Spiel, aber wie jedes Ritual ist es notwendig. Es ist für sie die einzige Möglichkeit, sich zu vergegenwärtigen, dass sie das Schlimmste hinter sich haben und nun das wahre Leben beginnt. Das bessere Leben.
    Ich höre ihnen schweigend zu. Wie ein Ethnologe darf ich mich so wenig wie möglich einmischen, damit das Ritual reibungslos ablaufen kann. Die Mienen der Anwesenden sind ernst, und wenn einer von ihnen das Wort ergreift, blickt er seinem Gegenüber oder dem, der vor ihm gesprochen hat, nicht ins Gesicht. Jeder erzählt seine Geschichte, als wäre er in einem leeren Raum mit sich allein und wolle sich bestätigen, dass das, was er gesehen hat, die Inkarnation des Bösen ist.
    In all diesen Jahren habe ich zigmal solche Klassifizierungen gehört, bei Besprechungen, Tagungen und Abendessen, vor einem Teller Pasta oder in einem Gerichtssaal. Häufig waren es nur Aufzählungen immer unmenschlicherer Grausamkeiten, aber je mehr Episoden sich in meinem Kopf ansammelten, desto deutlicher trat ein gemeinsamer Nenner, ein kulturelles Muster hervor, das sich beharrlich wiederholte: Der Grausamkeit wurde im genetischen Code der jeweiligen Völker
    ein Ehrenplatz zugewiesen. Immer beging man den Fehler, Gewalt- oder Kriegshandlungen mit einem ganzen Volk gleichzusetzen. Solche Klassifizierungen zu formulieren ist, als würde man seine Muskeln spielen lassen, die man durch viele Stunden im Fitnessstudio gestählt hat. Aber auch die Muskeln, mit denen man seine Gegner beeindrucken will, brauchen ein streng reglementiertes Training. Improvisation gibt es nicht, alles muss bis ins Letzte geplant sein. Antrainiert sein. Was den Menschen zum Menschen macht, ist die Erziehung. Der Unterschied zeigt sich in dem, was man lernt.
    Grausamkeit kann man lernen. Man wird nicht mit ihr geboren. Auch wenn ein Mensch mit einer solchen Neigung aufwächst, auch wenn er in seiner Familie nur Feindseligkeit und Gewalt erlebt hat, Grausamkeit wird einem beigebracht, man erlernt sie. Grausamkeit wird vom Lehrer an den Schüler weitergegeben. Ein Impuls allein reicht nicht aus, er muss gelenkt und ausgebildet werden. Man bringt einem Körper bei, sich seiner Seele zu entledigen. Auch wenn du nicht an die Seele glaubst, auch wenn du glaubst, das sei religiöser Unsinn, ein schönes Hirngespinst, auch wenn es für dich nur Fasern, Nerven, Blutgefäße und Milchsäure gibt. Irgendetwas ist trotzdem da. Wie sonst nennst du das, was dich daran hindert, bis zum Äußersten zu gehen? Gewissen? Seele? Es hat viele Namen, aber wie immer du es nennen willst, du kannst es verformen, verbiegen. Es ist bequem zu sagen, dass Gewalttätigkeit zum Wesen des Menschen gehört, und das spielt denen in die Hände, die ihr Gewissen reinwaschen wollen, ohne sich über ihr Tun Rechenschaft abzulegen.
    Wenn ein Soldat mit seiner Geschichte fertig ist, nimmt sein Nebenmann sofort den Faden auf, ohne das Gesagte nachwirken zu lassen. Das Ritual geht seinen Gang, und
    scheinbar herrscht auch hier das stillschweigende Einverständnis, dass manche Völker den Drang zur Gewalt eben im Blut haben. Der Soldat rechts von mir scheint es gar nicht erwarten zu können, bis er an der Reihe ist. Er rutscht auf seinem Plastikstuhl hin und her, und

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