ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
getan? Es nicht gesagt? Warum habe ich es nicht erkannt? Ein brennender Schmerz. Und ein verwundetes Tier greift an: Der lügt ja; das ist nur ein Ablenkungsmanöver; er ist bestochen worden; er tut es aus Geltungssucht, aus Habgier. Wenn du von der kriminellen Gewalt erzählst, kannst du in Häusern, Parlamenten und Menschen wie in Büchern lesen. Nimm ein aus Beton erbautes Haus und stelle dir vor, es bestünde aus Tausenden von Seiten. Und wenn du die Seiten umblätterst, erfährst du, wie viel Kilo Kokain, wie viel Schmiergeld, wie viel Schwarzarbeit in diesem Gebäude stecken. Stell dir vor, du könntest alles, was du siehst, aufschlagen wie ein Buch. Du wirst viel verstehen, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem du die Bücher nur noch zuklappen und nicht mehr darin blättern willst.
Vielleicht glaubst du, wenn du dich mit diesen Dingen beschäftigst, könntest du die Welt erlösen. Gerechtigkeit wiederherstellen. Zum Teil stimmt das vielleicht sogar. Aber eventuell - und das gilt insbesondere für diesen Fall - wird dir bewusst, dass du nur ein kleiner Superheld bist, ohne die geringste Macht. Ein bemitleidenswerter Mensch, der seine Kräfte überschätzt, weil ihm nie ihre Grenzen aufgezeigt wurden. Die Sprache verleiht dir eine weitaus größere Macht, als dein Körper und dein Leben ausfüllen können. Aber die Wahrheit, meine Wahrheit, lautet, dass es nur einen Grund gibt, warum du nicht aufhörst, dich mit diesen Geschichten der Unterwelt und der Drogenbosse, der kriminellen Geschäfte und der Massaker zu
beschäftigen: Du willst dich jedem Trost verschließen. Du willst sagen können, dass es keinen Trost im Leben gibt. Du willst die Bestätigung, dass es dir nicht bessergehen wird, wenn du all das herausgefunden hast. Aber auch dann hörst du nicht auf, danach zu suchen. Und wenn du es gefunden hast, fängst du an, Verachtung zu empfinden für die Dinge. Ich meine es ganz wörtlich: Verachtung für die Dinge, die materiellen Besitztümer dieser Welt. Dir wird schlagartig klar, wie sie entstehen, woher sie kommen und wo sie enden werden.
Und auch wenn du dich elend fühlst, bist du überzeugt, dass du diese Welt nur dann wirklich wirst verstehen können, wenn du dranbleibst. Als Multiplikator, Chronist oder Staatsanwalt, als Polizist, Richter, Priester oder Sozialarbeiter, als Lehrer, Antimafia-Aktivist oder Schriftsteller. Doch auch wenn du deine Sache gut machst, heißt das nicht unbedingt, dass es deine Berufung ist. Dranbleiben bedeutet, dass dich diese Geschichten aufzehren, dass sie dich antreiben, deinen Alltag durchdringen. Dranbleiben bedeutet, dass du die Topographie der Baustellen im Kopf hast, die Drogenhandelsplätze und die Orte, an denen ein Pakt unterzeichnet wurde oder ein aufsehenerregender Mord geschah. Um dranzubleiben, muss man nicht auf der Straße unterwegs sein oder als Undercoveragent einen Clan ausspionieren, wie es Joe Pistone sechs Jahre lang getan hat. Dranbleiben heißt: Es ist der Sinn deines Auf-der-Welt-Seins. Und ich habe mich vor Jahren dafür entschieden dranzubleiben. Nicht nur, weil ich in einem Landstrich aufgewachsen bin, wo allein die Clans die Entscheidungshoheit besaßen. Nicht nur, weil ich Menschen habe sterben sehen, die sich der Macht der Clans entgegenstellten. Nicht nur, weil Rufmord jeden Wunsch erstickt, sich der kriminellen Gewalt zu widersetzen. An den Handelsrouten des weißen Pulvers
dranzubleiben ist für mich die einzige Möglichkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen. Die menschliche Schwäche in Augenschein zu nehmen, die Physiologie der Macht, die Brüchigkeit aller Beziehungen, die Unbeständigkeit aller Verbindlichkeiten, die unermessliche Macht von Geld und Gewalt und die absolute Ohnmacht all dessen, was ich einmal über Schönheit und Gerechtigkeit gelernt habe. Kokain ist die Achse, um die sich alles dreht. Die Wunde hat nur einen Namen: Kokain. Es stimmt, die Landkarte der Welt wurde mit Erdöl gezeichnet, dem schwarzen Öl, von dem so viel die Rede ist, aber sie wurde auch mit dem weißen Öl gezeichnet, wie die nigerianischen Bosse das Kokain nennen. Die Landkarte der Welt wird durch Treibstoff gestaltet, den für Motoren und den für den Körper. Der Treibstoff für Motoren ist das Erdöl, der Treibstoff für den Körper ist das Kokain.
»Die Serben. Beim Foltern sind sie gewissenhaft, gnadenlos und gründlich.«
»Unsinn. Es sind die Tschetschenen. Sie haben so scharfe Messer, dass du am Boden liegst und verblutest, bevor du
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