ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
eines rivalisierenden Kartells entführt. Sie bringen ihn nach Los Mochis im benachbarten Bundesstaat Sinaloa, töten ihn und zerstückeln seine Leiche. Sie
ziehen ihm die Haut vom Gesicht und spannen sie auf einen Fußball, den sie in einer Plastiktüte vor dem Rathaus ablegen. In einem beiliegenden Schreiben heißt es: »Ein gutes neues Jahr, denn es wird das letzte sein.« Seine anderen Körperteile werden in zwei Plastiktonnen gefunden: Oberkörper, Arme, Beine und der gesichtslose Schädel. Die Zerstückelung ihrer Opfer ist die Handschrift der Zetas. Sie lassen die Leichen in den Gräbern anderer Toten verschwinden oder verscharren sie in versteckten Friedhöfen in ihren Hochburgen oder in Massengräbern. Oft begraben sie ihre Opfer bei lebendigem Leib oder lösen sie in Säure auf.
Die Zetas sind blutige Mörder, dennoch haben sie mit jedem kleinen Jungen etwas gemeinsam, mag er auch Tausende Kilometer weit weg wohnen: die Begeisterung für das Fernsehen, das ein gefährlicher Lehrmeister sein kann. Gewaltverherrlichende Filme und Reality-Shows sind die kulturellen Bezugspunkte, die beim zweiten Massaker von San Fernando, einem Dorf 140 Kilometer von der US-amerikanischen Grenze entfernt, schauerliche Wirklichkeit wurden. Auf der Autobahn 101 stoppten die Zetas mehrere Busse, sie ließen die Fahrgäste aussteigen und wie Gladiatoren mit Stöcken und Messern gegeneinander kämpfen. Wer überlebte, wurde von den Zetas aufgenommen, wer unterlag, wurde in einem Massengrab verscharrt wie jenem in San Fernando, wo man im Frühjahr 2011 hundertdreiundneunzig Leichen entdeckte, die schwere Kopfverletzungen aufwiesen.
Das sadistische Gemetzel fand wenige Monate nach dem sogenannten ersten Massaker von San Fernando statt. Auch hier starben Unschuldige, die gleichfalls in Massengräbern verscharrt wurden. Es ist der 24. August 2010. Zweiundsiebzig Personen aus Mittel- und Südamerika wollen von Tamaulipas aus heimlich über die Grenze in die Vereinigten Staaten. Wir kennen die Geschichte dank des dreiundsiebzigsten Flüchtlings, der aus Ecuador stammt. Die ganze Gruppe, so erzählt er, wurde von Mexikanern angehalten, die sich als Los Zetas vorstellten. Sie brachten alle zu einem Gehöft und fingen an, sie zu exekutieren. Sie hatten beim Überqueren der Grenze zum Territorium der Zetas nicht die »Mautgebühr« bezahlt oder, was wahrscheinlicher ist, sich der Aufforderung der Zetas widersetzt, Handlangerdienste zu übernehmen. Aber die Zetas dulden keine Zurückweisung. Sie schießen die Flüchtlinge erbarmungslos in den Kopf. Der Ecuadorianer wird am Hals verletzt und stellt sich tot. Er kann fliehen und sich wie durch ein Wunder zu einem Militärposten durchschlagen. Die Soldaten folgen seiner Wegbeschreibung und liefern sich auf dem Gehöft eine Schießerei mit den Zetas. Dann finden sie die zweiundsiebzig Leichen: achtundfünfzig Männer und vierzehn Frauen, übereinandergestapelt.
Die Zetas sind Experten, aber sie müssen lernen, dass ihre Schüler sie übertrumpfen können. Wenn zur Brutalität noch Demütigung hinzukommt, macht die Gewalt einen weiteren evolutionären Sprung, weil sich das Böse in den Körper einschreibt und sich von dort ausbreitet wie ein Brand. Einige mit den Zetas rivalisierende Kartelle setzen ihren enthaupteten Feinden einen Schweinekopf auf und stellen das Video davon ins Internet.
Gewalt kann man lernen. Gewalt lohnt sich. Gewalt hat eigene Regeln. Gewalt rückt vor wie eine Besatzungsarmee. Die Zetas und Angel Miguel, der ehemalige Kaibil, sind zwei Seiten derselben Medaille. Jetzt weiß ich auch das.
Kokain # 4
Wie etwas Heiliges, das man nicht beim Namen nennen darf, wie die heimliche Geliebte, die dir nicht mehr aus dem Sinn geht,
wie eine leere Fläche, auf die sich jedes Wort eintragen lässt:
So ist das, was du suchst, beschwörst, tausendfach benennst. Jeder Name ist Wunsch, Verlangen, Metapher, ironische Anspielung.
Ist Spiel und Verzweiflung. Das, was du begehrst, an jedem Ort, zu jeder Stunde.
In Amerika kannst du es 24/7 nennen, wie den Drugstore an der Ecke.
Du nennst es Aspirin wie die Brausetablette, die deine Schmerzen lindert, oder Vitamin C wie in Italien, weil es dein Mittel ist, einen Schnupfen loszuwerden, denn das »C« ist sein Buchstabe.
Der Anfangsbuchstabe ist genug.
Oder du nennst es Charlie
nach dem Funkalphabet der Piloten und Amateurfunker.
Beim Take-away der Sehnsüchte kannst du es als Number 3 bestellen, nach dem dritten Buchstaben des
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