ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Kokainkonsums. Die Familie hat mehr als zweihundertfünfzig Arten, aber zwei interessieren mich besonders: Erythroxylum coca und Erythroxylum novogranatense. Die Blätter dieser Pflanzen enthalten zwischen 0,3 und 1,4 Prozent Alkaloide, die über das Gehirn wirken. Man muss eineinhalb Jahre warten, bevor man die Blätter erstmals ernten kann. Aus zwei Erythroxylaceae- Arten gewinnt man Kokain: Die erste stammt aus den peruanischen Anden, gedeiht aber heute auch in den tropischen Regionen des östlichen Peru, Ecuadors und Boliviens. Ihre wichtigste und am weitesten verbreitete Varietät ist das bolivianische Coca, huanuco, das zugleich das hochwertigste ist. Es hat große, feste Blätter, dunkelgrün und mit gelblichen Spitzen. Die zweite Erythroxylaceae-Art kommt dagegen aus den Bergregionen Kolumbiens, der Karibik und Nordperus mit ihren ariden Zonen. Davon gibt es wiederum zwei Hauptsorten: das kolumbianische und das peruanische Coca, trujillo genannt. Verglichen mit huanuco sind dessen Blätter dünner und schmaler, hellgrün mit fast grauen Spitzen. Die Unterschiede zwischen den Arten sind nicht besonders groß, aber man braucht keine aufwendigen Labortests, um sie zu erkennen. Man muss die Blätter einfach nur in den Mund schieben und kauen. Stellt sich eine leicht betäubende Wirkung ein, sind es die richtigen Blätter, die Alkaloide enthalten. Huanuco und trujillo sind die Sorten, um die sich der Welthandel dreht.
Viele Namen für einen Stoff: Kokain. Kokain, das seinen Weg vom Produzenten zum Konsumenten nimmt. Von den Blättern zum weißen Pulver, das mit einer flüchtigen Berührung der Hände den Besitzer wechselt. Vom Chemielabor auf die Straße. Vom Anden-Bauern zu einem Dealer, der mir zuerst seine
Produktpalette vorstellt und dann über Wirtschaft redet. Nach der Begegnung mit ihm habe ich das Gefühl, über ein wichtiges Kapitel des Lebens auf den neuesten Stand gebracht worden zu sein.
»Die Zielgruppe. In Mailand, Rom, New York oder Sydney unterwegs zu sein ist wie ein Slalomlauf zwischen professionell eingekleideten Männern. Sie suchen sich einen edlen Stoff aus, entscheiden, wie viele Streifen sie haben wollen und in welchem Abstand, und auf die Businesshemden lassen sie sich ihre Initialen sticken. Eine Hand in der Tasche, die andere um ein iPhone geschlossen. Ihren Blick haben sie zwei Meter vor sich auf den Boden gerichtet, um nicht zu stolpern oder in einen Hundehaufen zu treten. Wenn du ihnen nicht aus dem Weg gehst, rempeln sie dich an, jedoch ohne eine Entschuldigung oder eine höfliche Geste, denn das brächte sie aus dem flow , und alles wäre futsch. Mit der Zeit lernst du, dich zwischen ihnen durchzuschlängeln wie bei diesen alten Videospielen, wo du den Asteroiden ausweichen musst, die auf dich runterstürzen. Mit einer leichten Bewegung des Joysticks schwenkst du deine Raumkapsel herum, und genauso wendest du den Oberkörper, die Schultern folgen der seitlichen Bewegung, und so schlüpfst du zwischen ihnen hindurch und streifst dabei nur leicht ihre Kaschmirjacketts. Dabei fällt dein Blick auf ihre Jackenärmel. Zuerst meinst du, da fehlt ein Knopf, und sie sehen, dass du es bemerkt hast, und denken, du glaubst, sie hätten vergessen, ihn zuzumachen, und sie seien in Wirklichkeit gar keine eleganten Herren. Aber du weißt, der aufgeknöpfte Ärmel ist charakteristisch für maßgeschneiderte Anzüge, er ist das Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Elite. Ich weiche also aus und beschleunige meinen Schritt, und auch sie gehen weiter und reden. Ich höre noch, was sie sagen, und ein Wort, das
immer wieder an mein Ohr dringt, ist Zielgruppe. Die Zielgruppe muss definiert, ausgewählt, getroffen, angesprochen und geschärft werden.«
Das erzählt er mir. Er hat schon viel verkauft. Und nicht an Straßenecken. Der Dealer entspricht fast nie dem Bild, das man sich von ihm macht. Das betone ich immer wieder, wenn ich schreibe oder mit jemandem über diese Dinge rede. Er ist ganz anders, als man denkt. Dealer sind Seismographen des Geschmacks. Sie wissen, wie und wo sie ihre Ware am besten loswerden. Je tüchtiger ein Dealer ist, desto leichter schafft er es, sich auf der sozialen Stufenleiter auf und ab zu bewegen. Den Dealer an sich gibt es nicht. Es gibt den Dealer auf der Straße, der für ein festes Monatsgehalt in einem ganz bestimmten Gebiet an Leute verkauft, die er nicht kennt. Dann gibt es den Dealer, der zu seinen Kunden nach Hause kommt, eine SMS genügt. Manche Dealer sind
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