ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
den Sachen, die man hinterher bereut, fährt Butterfly fort. Einmal hat ihr Freund ihr gestanden, dass er eines Abends dermaßen ausgeflippt war, dass er sich mit einem Transsexuellen eingelassen hat: eine uralte Phantasie von ihm, die auszuleben er nie den Mut gehabt hatte. Den Mut, wiederhole ich, und Butterfly nickt. Und nach einer Weile frage ich sie, ob sie mir diesmal das Tattoo zeigt, und sie lächelt mich an, stellt sich zwischen die Tische, knöpft ihre Hose auf und zieht sich die Unterhose runter. Und tatsächlich, sie hat mich nicht belogen.
Ich schlängle mich immer noch zwischen den Männern durch, die nach dem neuesten Diktat der Businessmode gekleidet sind, und bis heute finden meine Zielgruppen mich und nicht umgekehrt. Aber ich versuche weiter zu erforschen, was hinter der Ware steckt. Es tauchen neue Gesichter auf, und die alten treten zurück und verblassen. Es ist ein Scheißjob.«
Ein Scheißjob, den er aber gut macht. Er redet, als hätte er das Für und Wider seines Berufs genau abgewogen, jedoch beschlossen, die abträglichen Aspekte für sich zu behalten. Die Paranoia zum Beispiel. Es gibt Dealer, die einmal pro Woche das Handy und die SIM-Karte wechseln. Denn es genügt ein unachtsamer Kunde, und du bist am Arsch. Manche Dealer leben wie Nonnen im Kloster: Sie meiden den Kontakt zur Außenwelt und schränken ihr Privatleben drastisch ein. Freundinnen sind extrem gefährlich, sie können die täglichen
Gewohnheiten des Dealers erahnen und sich rächen, indem sie sie jemandem preisgeben. Die ganz Ängstlichen unter den Dealern verbringen ihre Freizeit damit, ihre Spuren zu verwischen: keine Ausweise, kein Girokonto und kein Geldautomat, und bloß kein Dokument unterschreiben. Angst und Paranoia. Um dagegen anzukämpfen, ziehen sie sich dasselbe Zeug rein, das sie verkaufen, und damit wird alles nur noch schlimmer. Manche Dealer wie der hier reden wie Börsenmakler: »Ich verkaufe Ferraris, keine Kleinwagen. Und mit einem Kleinwagen machst du nun mal schneller einen Crash als mit einem Ferrari.«
Es gibt Straßendealer, die monatlich viertausend Euro verdienen, zuzüglich einer Produktionsprämie, wenn sie viel abgesetzt haben. Aber die Dealer aus dem bürgerlichen Milieu können auf zwanzig- oder sogar dreißigtausend Euro im Monat kommen.
»Das Problem ist nicht die Summe, die du verdienst, sondern dass du dir keine andere Tätigkeit mehr vorstellen kannst, weil du sie für Zeitverschwendung hältst. Mit einer einzigen Übergabe bekommst du mehr als mit monatelanger Arbeit, egal welcher. Und die Gewissheit, dass man dich früher oder später verhaften wird, reicht nicht aus, damit du dir einen anderen Job suchst. Selbst wenn man mir eine Arbeit anbieten würde, mit der ich genauso viel verdienen könnte wie jetzt, glaub ich nicht, dass ich sie annehmen würde, weil ich sicher mehr Zeit investieren müsste. Das gilt auch für die armen Teufel, die auf der Straße dealen. Um genauso viel wie jetzt zu haben, müssten sie auf jeden Fall mehr Zeit investieren.«
Ich schaue ihn an und frage ihn, ob er mir bestätigen kann, was ich aus seinen Erzählungen herauszuhören glaube: dass er für seine Kunden nicht viel Wertschätzung übrighat.
»Das stimmt. Am Anfang mochte ich sie, weil sie mir gegeben haben, was ich brauchte. Aber nach einiger Zeit wird dir klar, dass du genauso gut an ihrer Stelle sein könntest. Du siehst dich von außen, und das ist unangenehm. Ich mag meine Kunden nicht, weil sie mir allzu ähnlich sind - oder weil ich so werden würde wie sie, wenn ich mich mehr gehenlassen würde. Und das widert mich nicht nur an, es macht mir Angst.«
8 Die Schöne und der Affe
Das Vakuum ist der Motor der Evolution. Die Energie einer unterbrochenen Entwicklung geht nicht verloren, sondern verwandelt sich in eine andere, die das entstandene Vakuum füllt. Wie in der Physik. Die Geschichte des kolumbianischen Drogenhandels ist eine Geschichte des Vakuums, eine Geschichte der Transformationen, eine Geschichte des Kapitalismus.
Heute tummeln sich in diesem Vakuum Hunderte Mikrokartelle wie Insekten in einem Rasenstück unter dem Mikroskop eines Entomologen: bewaffnete Gruppen, die sich nach den Sportmannschaften ihres Landes benennen, und kommunistische Guerillakämpfer, die auf paradoxe Weise immer mehr die Rolle von Großgrundbesitzern, von Verwaltern des Anbaus und der ersten Verarbeitungsphasen übernehmen. Jeder schneidet sich eine Scheibe ab, gemäß der eigenen Spezialisierung: als
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