ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Möglichkeiten offen, und sie nutzen sie, angefangen mit Geldwäsche bis zu den wichtigsten Verhandlungen, und das Wort »Ehrgeiz« ist nicht mehr verpönt. Sogar die alten Redensarten verschwinden, und damit das Bild von Frauen, die nur Geld ausgeben und das Geschäft zugrunde richten.
Und noch etwas hat sich verändert: Einige von Pablos Gefolgsleuten konnten kaum lesen und schreiben und kannten nicht einmal den größten lebenden Schriftsteller Kolumbiens, den Nobelpreisträger Gabriel Garda Marquez. Sie waren stolz darauf, dass sie aus der Mitte des Volkes zur Macht aufgestiegen waren, und sie wollten, dass das Volk sich mit ihnen
identifizierte. Die Bosse des Cali-Kartells dagegen zitieren Verse kolumbianischer Dichter des 20. Jahrhunderts und wissen den Wert eines Master in Betriebswirtschaft zu würdigen. Die neuen Narcos sind Kapitalisten wie die alten Narcos unter Pablo, aber sie sind weitaus geschliffener. Sie betrachten sich als die Elite der Neuen Welt und vergleichen sich gern mit den Kennedys, die dank dem Import von Whiskey aufsteigen konnten, mit dem sie während der Prohibition ein durstiges Land versorgten. Sie gebärden sich als ehrbare Geschäftsleute, kleiden sich elegant, verkehren in gehobenen Kreisen und können sich in der Öffentlichkeit frei bewegen, da sie sich nicht mehr in Bunkern und geheimen Luxuswohnungen verstecken müssen. Die neuen Narcos lieben das Tageslicht, denn hier wickeln sie ihre Geschäfte ab.
Mit ihnen verändert sich auch die Art und Weise des Drogenhandels. Die Sicherheit der Fracht wird durch Scheinfirmen und die Nutzung legaler Kanäle gewährleistet, in die die illegale Ware problemlos eingeschleust werden kann. Und dann die Banken. Zuerst der Banco de los Trabajadores, dann die panamaische First Interamericas Bank - angesehene Kreditinstitute, mit deren Hilfe die Narcos das aus den Vereinigten Staaten kommende Geld waschen. Je mehr sie in der legalen Wirtschaft Fuß fassen, desto größer wird ihr Spielraum, um das Kokaingeschäft weiter auszubauen: mit Hilfe von Baufirmen, Industriebetrieben, Investmentgesellschaften, Radiostationen, Fußballmannschaften, Einkaufszentren und dem Autohandel. Ausdruck der neuen Mentalität ist eine moderne DrugstoreKette, nach amerikanischem Vorbild Apotheke und Drogerie zugleich, mit dem programmatischen Namen Drogas la Rebaja.
Pablos hierarchische Struktur ist obsolet geworden, sie ist ein alter Hut, ein Auslaufmodell. Die heutigen Narcounterneh-men legen langfristige Produktionsziele fest. Im Cali-Kartell gibt es nur eine ganz bestimmte Aufgabe und ein klares Ziel: Geld zu machen. Wie in einem nach außen monolithischen, im Innern aber flexiblen internationalen Großkonzern ist das CaliKartell in fünf Sektoren unterteilt, entsprechend den fünf strategischen Bereichen Politik, Sicherheit, Finanzen, Rechtshilfe und selbstverständlich Drogenhandel.
Auf Gewalt und Terror verzichtet man dennoch nicht. Plata o plomo bleibt die Losung, doch die Geldströme kennen jetzt keine Grenzen mehr, und statt der Kugeln gilt es immer öfter, abzuwägen und Professionalität und Vernunft walten zu lassen. Anfangs bestand das Heer der Auftragskiller aus jungen Leuten, die man aus der Armut lockte, heute sind es ehemalige oder korrupte Angehörige der Streitkräfte. Gut ausgebildete, gedungene Söldner. Die Politik ist heute einer von vielen Bereichen der Gesellschaft, die geschmiert werden müssen, und das in die Behörden injizierte Geld wirkt wie ein Betäubungsmittel, das den Kongress lähmt und ausschaltet, gleichzeitig aber sein Handeln beeinflusst. Auch das letzte schwache Band ist zerrissen, das die Drogenhändler mit dem Landstrich ihrer Herkunft verknüpfte. Um ungestört ihre Geschäfte abwickeln zu können, muss Frieden im Land herrschen, ein Scheinfrieden, der hin und wieder durch einen Warnschuss erschüttert werden muss. Die Kolumbianer sollen nicht vergessen, wer die Machthaber im Land sind, auch wenn sie sich im Hintergrund halten.
Ein Meister dieser Taktik ist Henry Loaiza Ceballos, genannt »der Skorpion«, der im April 1990 die Anweisung erteilt, Hunderte von Campesinos mit Kettensägen zu zerstückeln.
Angeführt vom Pfarrer von Trujillo, Tiberio de Jesus Fernandez Mafla, hatten die Kleinbauern einen Protestmarsch gegen den bewaffneten Konflikt und für die Verbesserung der Lebensbedingungen auf dem Land organisiert. Pfarrer Tiberios Leiche wird zerstückelt in einer kleinen Bucht des Flusses Cauca gefunden. Bevor sie
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