ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
die barrios, in denen die Armen wohnen, und er hat die zu allem bereiten Handlanger rekrutiert, die er braucht. Bestechungen hier, Schmiergelder da, Zahlungen an einen Bankier, der ihm hilft, das gewaschene Geld ins Land zurückzubringen. Pablo selbst formuliert es so: »Jeder hat seinen Preis. Man muss nur wissen, wie hoch er ist.« Das Vakuum ist schnell gefüllt, das System Kolumbien wird zum Monopol, und sein Vertriebsnetz umspannt die wichtigsten Knotenpunkte des amerikanischen Kontinents. Alles ist im großen Stil organisiert: Interkontinentalflüge mit Maschinen, die mit Tonnen von Koks beladen sind; kooperationswillige Zollstellen, die Tausende Blumencontainer mit dem weißen Pulver durchwinken; U-Boote für die größten Transporte, ja sogar ein hochmoderner Tunnel, der Ciudad Juarez mit El Paso, Texas, verbindet. Er befindet sich im Privatbesitz eines Milliardärs, der mehr als 4000 Kilometer entfernt lebt. Pablo Escobar führt das Kommando, er beherrscht Kolumbien. Und doch schließt der Pate von Medellin mit dem Paten von Guadalajara einen Pakt. Mexiko hält die Augen offen und lernt, es kassiert seinen Anteil und wartet, bis seine Zeit gekommen ist.
Anfang der achtziger Jahre verdient Pablo bereits eine halbe Million Dollar pro Tag, und er beschäftigt zehn Buchhalter. Das Medellin-Kartell gibt monatlich 2500 Dollar für Gummibänder aus, zum Bündeln der Geldscheine. Es ist eine Ära des Frühkapitalismus mit der geballten Macht steinreicher
Unternehmer, die Recht und Gesetz diktieren und alle Ganglien der Gesellschaft infiltrieren. Ein traditioneller Kapitalismus, dessen Tycoone ihre Macht und ihren Profit im Wettstreit miteinander zur Schau stellen, ohne mit Geschenken an die Bevölkerung zu knausern. Pablo lässt vierhundert Sozialwohnungen bauen, er schenkt der Öffentlichkeit einen riesigen Zoo auf dem Areal seines Landguts Hacienda Napoles. Robin-Hood-Kapitalisten, skrupellos, blutrünstig und unbarmherzig, unersättlich und verschwenderisch. Das Geld zerrinnt ihnen zwischen den Fingern. Der Kapitalismus, den sie praktizieren, steckt noch in den Kinderschuhen, doch sie haben bereits streng hierarchische Strukturen aufgebaut, fühlen sich als Giganten und als Verkörperung einer souveränen Macht, die sie sich mit Blei und Geld erkämpft haben, dem einzig gültigen Recht. Pablo bietet sogar an, die Staatsschulden Kolumbiens zu begleichen, denn das Land gehört ohnehin bereits ihm, und die Regierung von Medellin ist mächtiger und reicher als die in Bogota. Stellt sich der Staat ihm jedoch entgegen, geht er zum frontalen Angriff über: Autobomben, Massaker, Anschläge auf missliebige Politiker und Richter. Der Präsidentschaftskandidat und Favorit der Wahlen wird getötet. So wenig wie die Corle-onesen in jenen Jahren verstehen auch Escobar und seine Gefolgsleute, dass ihre Stärke zugleich ihre größte Schwäche ist. Wenn der Kopf abgeschlagen ist, verwest der Körper. Und so stirbt mit Pablo seine Organisation und hinterlässt ein Vakuum.
Wenn der Kapitalismus eines unter Beweis gestellt hat, dann dies: dass Revolutionen und schlimmste Katastrophen noch nie imstande waren, ihn zu zerschlagen. Er hat Schrammen und Kratzer bekommen, aber sein Geist wurde nie geschwächt. Das von Pablo hinterlassene Vakuum ist der Ausgangspunkt für die
zweite Phase in der Evolutionsgeschichte des kolumbianischen Drogenhandels. Es gilt, sich den Veränderungen anzupassen, mit dem sozialen und wirtschaftlichen Wandel Schritt zu halten und die Schwelle zur Moderne zu überschreiten. Die neue Spezies steht schon bereit, sie hat sich vermehrt und immer größere Landstriche besiedelt. Sie musste im Kampf um die Führung nicht allzu sehr bluten und hat mächtige natürliche Verbündete an ihrer Seite. Jetzt kann sie alles haben.
Selbst geringfügige Abweichungen vom bisherigen Kurs entscheiden über die Zukunft. Pablo war ein Macho gewesen, die Verkörperung ungezügelter Sexualität. Doch einer der Bosse des neuerdings dominierenden Cali-Kartells, Helmer »Pacho« Herrera, bricht mit diesem gängigen Stereotyp. Als bekennender Homosexueller hätte Pacho unter Pablos Führung keinen Schritt tun können. Doch für die Brüder Rodnguez Orejuela, die Gründer des Kartells, gilt: Geschäft ist Geschäft. Und wenn ein Homosexueller in der Lage ist, Mexiko den Weg zu ebnen und in New York Vertriebszellen aufzubauen, ist es unerheblich, mit wem er ins Bett geht. Auch Frauen werden anerkannt. Ihnen stehen alle
Weitere Kostenlose Bücher