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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Produzent, als Lieferant, als Zusteller. Jeder verteidigt seinen kleinen Lebensraum im Dschungel, in den Bergen, an der Küste oder im Grenzgebiet. Alles ist aufgeteilt, parzelliert, pulverisiert. Die Territorien, die Macht und die privilegierten Beziehungen, deretwegen heute immer noch Blut fließt, scheinen winzig klein, verglichen mit der Ära der großen Kartelle.
    Doch wenn das Kolumbien des Drogenhandels heute so wirkt wie das Liliput aus Gullivers Reisen, liegt das Problem nicht zuletzt im Auge des Betrachters. Oder vielmehr in seiner Denkweise, in seiner Erinnerung. Man misst die Realität an der eigenen Erwartung, an dem Bild, das man sich in der
    Vergangenheit gemacht hat. Und wenn es keine blutigen Kämpfe und Massaker und keine Anschläge auf Präsidentschaftskandidaten oder Präsidenten mehr gibt, die mit finanzieller Unterstützung der Kartelle gewählt wurden, wenn Kolumbien kein Narcostaat mehr ist und die bekannten Akteure tot sind oder in US-amerikanischen Gefängnissen lebenslange Haftstrafen verbüßen, könnte man leicht meinen, der Krieg sei gewonnen. Oder wenn nicht ganz gewonnen, dann zumindest auf dem Weg dahin.
    Der Blick des Betrachters kann zudem auch ganz dem Vergangenen verhaftet sein. Solange »Kokain« und »Kolumbien« ein so festes Begriffspaar bilden wie schottischer Whisky oder russischer Kaviar, gelten die kolumbianischen Narcos als die mächtigsten, reichsten und am meisten gefürchteten Drogenhändler der Welt. Kein Mensch kennt dieser Tage die Namen der größten Drogenschmuggler oder der mächtigsten Organisationen, die in Kolumbien operieren. Und trotz jahrzehntelanger Bemühungen, die Macht der kolumbianischen Narcos zu brechen, ist der Marktanteil des kolumbianischen Kokains weit weniger stark zurückgegangen, als man im Zeitalter der Globalisierung des Handels erwarten könnte. Dieses Paradox macht es heute so schwer, ein klares Bild von den wahren Dimensionen der gegenwärtigen Situation zu gewinnen.
    Die »Liliputaner« sind zwar nicht mehr unumschränkt herrschende Kokainbarone, aber Schätzungen zufolge produziert Kolumbien weiterhin rund sechzig Prozent des weltweit konsumierten Kokains. Und der Cocastrauch schlägt weiter Wurzeln in jeder Parzelle des kolumbianischen Ackerlands.
    Wie ist das möglich? Und was bedeutet das?
    Die Antwort auf die erste Frage ist einfach und beschreibt ein Grundprinzip des Kapitalismus: Wenn die Nachfrage gleich
    bleibt oder sogar steigt, wäre es absurd, ein Angebot vom Markt zu nehmen oder auch nur zu reduzieren.
    Die Antwort auf die zweite Frage lautet, dass mit dem Niedergang der kolumbianischen Kartelle der Aufstieg der mexikanischen Kartelle und anderer neuer und starker Akteure der kriminellen Wirtschaft begann. Heute ist das Sinaloa-Kar-tell am Coca-Anbau und bei der Herstellung von Kokainpaste und Kokain in Kolumbien in derselben Weise beteiligt wie die Weltkonzerne am Anbau und an der Verarbeitung von Südfrüchten.
    All dies erklärt jedoch nicht im Detail, was in Kolumbien geschehen ist. Kolumbien verkörpert ein Grundschema der kriminellen Wirtschaft, und seine Transformation demonstriert die Flexibilität eines Systems, das nur eine einzige Konstante kennt: das weiße Pulver. Menschen kommen und gehen, Armeen lösen sich auf, Kokain jedoch bleibt. Das ist, kurz gesagt, die kolumbianische Geschichte.
    Am Anfang steht Pablo. Vor ihm gab es bereits einen aufstrebenden Handel mit der Droge in einem Land, das aufgrund seiner geographischen Lage zur Produktion, zur Lagerung und zum Transport von Kokain wie geschaffen war. Doch der Drogenhandel lag in den Händen der »Cocaine Cowboys«, die zu schwach waren, um ihren Gesetzen Gültigkeit zu verschaffen, und zu weit verstreut, um das Recht des Stärkeren geltend zu machen. Es gibt also ein Vakuum, und Pablo füllt es aus. Die Evolution des kolumbianischen Drogenhandels beginnt hier, mit einem ehrgeizigen jungen Mann, der entschlossen ist, sich so zu bereichern, dass er mehr gilt als der Staatspräsident seines Landes. Er fängt bei null an, er scheffelt Geld, er verschafft sich Achtung und baut mit kleinen Schiffen und
    einmotorigen Flugzeugen das erste Drogentransportnetzwerk auf. Um sich Schutz und Sicherheit zu verschaffen, handelt er getreu dem alten kolumbianischen Grundsatz »Plata o plomo«, Geld oder Blei. Ob Polizist oder Politiker: Entweder du lässt dich bestechen, oder du bist ein toter Mann. Für den Paten von Medellin ist das Kokaingeschäft einfach. Ein Gang durch

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