ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
weil Natalia schon als Baby im Fernsehen Werbung für Windeln machte. Als Teenager schließt sie ihren ersten großen Vertrag ab und wirbt mit einem strahlenden Lächeln für eine US-amerikanische Zahncreme. Sie wird Werbeträgerin für Bier der Marke Cristal Oro und ist im Minibikini auf Hausmauern, in Zeitschriften, die beim Friseur von Hand zu Hand wandern, und auf Plakatwänden entlang der Autobahnen allgegenwärtig. Natalia ist in Kolumbien eine bekannte Erscheinung und wird bewundert wie kein Model vor ihr.
Bis heute ist es der Traum jedes gut aussehenden kolumbianischen Mädchens, Schönheitskönigin zu werden. Die Wahl der Miss Colombia entfesselt im Land einen Taumel der Begeisterung, der lange vor dem Finale beginnt. Am Strand von Cartagena de Indias macht sich der Tross der Klatschblätter breit, und die Schulkinder von Cartagena bekommen sogar zwei Wochen Ferien. Das Krönchen, das der Siegerin aufs Haupt gesetzt wird, ist mit vierundzwanzigkarätigem Gold plattiert und hat in der Mitte einen Smaragd, den Nationaledelstein Kolumbiens. Im Verlauf des Jahres, in dem sie den Titel Miss Colombia tragen darf, wird sie sogar vom Staatspräsidenten empfangen.
Daneben gibt es Hunderte unbedeutendere Schönheitswettbewerbe. Die Bewohner der Orte, in denen sie stattfinden, erwarten voller Spannung den Auftritt der Kandidatinnen. Die Kolumbianer gieren förmlich nach Schönheit, um den harten Alltag zu vergessen, die Gewalt, die Ungerechtigkeiten und die politischen Skandale, die kein Ende zu nehmen scheinen. Sie sind fröhliche Menschen, von jener lebensprühenden Fröhlichkeit, die den Fatalismus bezwingt. Und doch kann dies allein das Phänomen nicht erklären. In Lateinamerika und besonders in den Ländern der Narcos geht es bei den Schönheitswettbewerben zu wie auf Viehmärkten, wo konkurrierende Reitställe ihre Neuerwerbungen vorführen. Oft ist der Wettbewerb ein abgekartetes Spiel, bei dem diejenige Kandidatin gewinnt, die für den einflussreichsten »Besitzer« ins Rennen geht. Das größte Geschenk, das man einer Frau machen kann, ist, ihr das Siegerkrönchen zu kaufen - ein Geschenk, bei dem das damit verbundene Ansehen auf denjenigen zurückstrahlt, der sie auserkoren hat. So war es auch bei Yovanna Guzman, die zur »Ch-ica Med« gewählt wurde, als sie bereits mit Wflber Varela liiert war, genannt »Seife«, einem der Bosse des Norte-del-Valle-Kartells. Dennoch können die weniger glückreichen Mädchen darauf hoffen, von Narcos bemerkt zu werden, die sich bei der Kür der Schönheitskönigin eine neue kurzzeitige Geliebte auswählen. Oder sie versuchen beim nächsten Wettbewerb erneut ihr Glück.
Doch es waren nicht solche Veranstaltungen, die Natalia nach oben brachten und dazu führten, dass sie plötzlich mehr beneidet wurde als Miss Colombia. Ihre Mutter hätte sie niemals an einem solchen Wettbewerb teilnehmen lassen, bei dem schon eine freundliche Aufmerksamkeit ein Risiko darstellte. Die Leute am Filmset waren sehr viel leichter im
Auge zu behalten. Natalia wurde zu jedem Shooting von ihrer Mutter begleitet, die ihre Managerin und ihre Bewacherin war. Und als die Mutter ihr zum achtzehnten Geburtstag eine Brustvergrößerung schenkte, hätte sie nicht im Traum daran gedacht, dass diese Investition ihre Tochter zur Vorkämpferin einer Epidemie machen würde, die in den kommenden Jahren immer weiter um sich greifen sollte. Selbst die einfachsten Mädchen vom Land und aus den ärmsten barrios würden sich prostituieren, um das Geld für Brustimplantate zusammenzusparen: die Voraussetzung für die Gunst eines Bosses, ihre einzige Rettung. Das ist die Geschichte, die Sin tetas no hay parawo (»Ohne Titten kein Paradies«) erzählt, eine kolumbianische Telenovela, die in verkitschter Version auf der halben Welt ausgestrahlt und gesehen wurde. Sie basiert auf einer knallharten Sozialreportage von Gustavo Bolrvar Moreno, angesiedelt im südlichen Departement Putumayo, einem traditionellen Coca-Anbaugebiet.
Lucia Gaviria, so heißt Natalias Mutter, ist immer auf der Hut. Die Chance, die ihrer Tochter vom Schicksal geschenkt wurde, gilt es optimal zu nutzen, aber in ihren Augen wäre es ein schwerer Fehler, sich allein darauf zu verlassen. Auch sie hatte in ihrer Jugend auf dem Laufsteg gearbeitet und für Modefotos Modell gestanden, doch ohne Juradiplom hätte es nach dem Tod ihres Mannes schlecht für sie ausgesehen. Man muss immer einen kühlen Kopf bewahren und handfeste Ziele verfolgen. Heute
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