ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
und des Kapitalismus in seiner kreativsten Ausprägung ein mit Ressourcen so reich gesegnetes Land immer noch von einer kriminellen Monokultur beherrscht wird. Man hatte das Cali-Kartell besiegt und den Nar-costaat zerschlagen. Die marxistischen Guerillakämpfer, die sich mit ihren Geiseln im Dschungel oder in den Bergen verschanzt hatten, sind ein Anachronismus, der seines Endes harrt. Nach dem Sieg über den kommunistischen Ostblock
erschien es möglich, durch gemeinsame Anstrengung auch Kolumbien in die Gemeinschaft der freien Welt zurückzuführen.
Doch den Entwicklungen in Mexiko, direkt vor ihrer Haustür, schenken die Vereinigten Staaten nicht genügend Aufmerksamkeit. Sie nehmen nur einzelne Berichte zur Kenntnis, die auf diesem oder jenem Schreibtisch landen, und sporadische Warnungen vor einer Bedrohung der gesellschaftlichen Stabilität und der öffentlichen Sicherheit. Von Optimismus geblendet, können oder wollen sie nicht begreifen, dass sich hier die Schattenseite des globalen Kapitalismus zeigt, dem sie selbst, wie sie stolz verkünden, Tür und Tor geöffnet und dessen Fesseln sie gelöst haben. Fixiert auf die Vergangenheit, wollen sie auf dem eingeschlagenen Weg die Geschichte Kolumbiens zu einem glücklichen Ende führen. Doch was tatsächlich geschieht, geht in eine ganz andere Richtung.
Lateinamerikanische Geschichten sind kompliziert. Sie folgen nicht dem Muster von Hollywood-Geschichten, wo die Guten gut und die Bösen böse sind und wo der Erfolg den Tüchtigen für seine moralische Tugendhaftigkeit belohnt. Der Wandel, der sich in Kolumbien vollzieht, lässt sich daher besser verstehen, wenn man sich zwei Erfolgsgeschichten vor Augen führt.
Die erste handelt von einer Frau. Von dem schönsten und berühmtesten Mädchen des Landes. Der Frau, von der alle Männer träumen und der alle anderen Frauen nacheifern. Sie war Exklusivwerbeträgerin für eine Dessousmarke und für das beliebteste Bier Kolumbiens. Eine in ganz Lateinamerika verbreitete Produktlinie für Kosmetika trägt ihren Namen. Natalia Paris. Ein bildhübsches Gesicht, goldblondes Haar, ein
strahlender honigfarbener Teint. Sie ist von mädchenhaftem Wuchs, hat aber große Brüste und einen prallen Po. Vollendete Weiblichkeit en miniature. Durch sie ist ein neues Schönheitsideal entstanden, eine Mischung aus fröhlicher Unschuld und erotischer Verführung, die Shakira - klein, blond und Kolumbianerin wie Natalia Paris - mit ihrer kraftvollen Stimme und einem entfesselten Hüftschwung in der ganzen Welt bekannt gemacht hat. Natalias Stern ist bereits früher aufgegangen. Und er hat die Entwicklung Kolumbiens in den letzten zwanzig Jahren begleitet.
Die andere Geschichte ist die eines Mannes, der schon von klein an einen Spitznamen trug, der ihm nicht gerecht wird:
»El Mono«, der Affe. Denn er weist gar nicht die grotesken Züge eines Brüll- oder eines Klammeraffen auf, der in Kolumbien meistverbreiteten Arten. Bestenfalls seine etwas tief liegenden Augen erinnern an den starren Blick eines Gorillas, was furchteinflößend sein kann. Er ist der Sohn einer Kolumbianerin und eines Italieners aus Sapri, der sich in der Neuen Welt ein besseres Leben aufbauen wollte. Und er heißt wie sein Vater. Salvatore Mancuso. Er hat den Traum von Integration und Erfolg verwirklicht, den alle Migranten an ihre Kinder weitergeben: den amerikanischen Traum. Doch er hat es auf seine Weise getan.
Die Schöne und der Affe kommen in Städten im Norden Kolumbiens zur Welt, dem am dichtesten besiedelten und fortschrittlichsten Teil des Landes, und ihre Familien gehören dem relativ wohlhabenden Mittelstand an. Natalias Vater ist Pilot und stirbt, als sie acht Monate alt ist, doch ihre Mutter besitzt einen eisernen Willen und feste Grundsätze, vor allem aber ist sie Rechtsanwältin, was ihr finanzielle Unabhängigkeit sichert. Salvatore ist das zweite von sechs Kindern. Sein Vater
ist Elektriker und eröffnet nach schweren und arbeitsreichen Jahren ein Reparaturgeschäft für elektrische Haushaltsgeräte und später eine Autowerkstatt.
Die Eltern sparen, um ihren Kindern den Besuch guter Schulen zu ermöglichen und sie damit vor schlechten Einflüssen und der Gewalt auf der Straße zu schützen. Natalia geht auf eine von Nonnen geführte Schule, macht Bildungsurlaub in Boston und schreibt sich am Instituto de Artes ein, um später in die Werbung zu gehen. Doch dann beginnt ihre Karriere als Model. Man kann nicht genau sagen, wann es begann,
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