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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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ihn umbrachten, musste er der Vergewaltigung und Ermordung seiner Nichte zusehen. Loaiza, der Skorpion, hatte angeordnet, ihm die Finger abzuschneiden und ihn zu zwingen, sie zu essen, ebenso seine Zehen und schließlich sogar seine Genitalien. Tiberios Grab im Park zur Erinnerung an die Opfer von Trujillo trägt die Inschrift: »Wenn mein Blut dazu beiträgt, dass in Trujillo der Frieden erblüht, den wir alle so dringend brauchen, dann gebe ich es gern« - ein prophetischer Satz, den der Priester in seiner letzten Osterpredigt gesprochen hatte.
    Trotz der exzessiven Gewalt in der Neuen Welt sind die italienischen Partner, die privilegierte Geschäftsbeziehungen mit Kolumbien aufgebaut haben, mit ihren neuen Lieferanten hochzufrieden. Die Kalabresen sind mit dem Landstrich ihrer Herkunft genauso eng verbunden wie die Kokainbosse von Medellin mit dem ihren, doch das entscheidende Merkmal ihres Aufstiegs teilen sie mit den Mitgliedern des Cali-Kartells, als wären sie langjährige Weggefährten: Sie herrschen und expandieren, ohne großes Aufsehen zu erregen. Sie fordern die Staatsmacht nicht heraus, sondern benutzen, unterminieren und manipulieren sie.
    Der Narcostaat expandiert und stählt seine Muskeln, er ermordet keine missliebigen Präsidentschaftskandidaten, sondern kauft lieber Stimmen, damit ein Präsident gewählt wird, der ihnen genehm ist. Der Narcostaat infiziert das ganze Land und gestaltet es nach seinem Vorbild um wie eine Tumorzelle: ein Ansteckungsprozess, gegen den es keine Therapie gibt. Doch die Evolution fordert ihre Opfer. Das Cali-Kartell ist zu weit aufgebläht, inzwischen haben es alle gemerkt, die USA und die korruptionsfreie Staatsanwaltschaft. Doch sein Niedergang folgt quasi einem Naturgesetz: Was nicht mehr wächst, kann leicht explodieren oder implodieren, und so nimmt sich Mexiko, der Vetter weiter oben im Norden, immer mehr Freiheiten heraus. Der Narcostaat unter Führung des Cali-Kartells gerät ins Wanken und zerbricht. It’s evolution, baby. Ein neues Vakuum entsteht, und die dritte Phase des narcokapital-istischen Wegs beginnt.
    Das Ende des Cali-Kartells ist der letzte große Umsturz innerhalb des kolumbianischen Narcokapitalismus. Mit ihm zerbricht das System der alles umspannenden Monumentalstruktur, neben der endemischen Gewalt vielleicht der einzige Aspekt, der die goldene Ära des Cali-Kartells mit der Epoche Pablo Escobars verbindet. Es ist, als würde plötzlich ein greller Lichtstrahl in die dunklen Winkel leuchten. Die Kakerlaken huschen in alle Richtungen auseinander und sind mit einem Schlag verschwunden. Ehemalige Freunde werden zu Feinden, und die Losung lautet jetzt nur noch: Rette sich, wer kann. Einige Abtrünnige des Cali-Kartells laufen zum Kartell Norte del Valle über, das jedoch von Anfang an nur ein müder Abklatsch seines Vorgängers ist. Brutal und uncharismatisch, gierig und unerfahren, ohne unternehmerische Findigkeit und unfähig, die internen Rivalitäten in Schach zu halten, lässt die Angst vor einer Auslieferung in die USA und vor Verrat aus den eigenen Reihen seine Mitglieder fast paranoid werden. Doch die Zeiten haben sich geändert, weil sich der Kapitalismus
    geändert hat, und die Ersten, die dies bemerken, sind die Kolumbianer.
    Der Rest der Welt ist optimistisch, ja geradezu euphorisch. Das neue Jahrtausend steht bevor, und es herrscht Zuversicht, dass Frieden, Demokratie und Freiheit weltweit den Siegeszug antreten werden. Im November 1996 wird Präsident Clinton für eine zweite Amtszeit gewählt, und ein paar Monate später tritt Tony Blair, der Vorsitzende der Labour Party, in London sein Amt als Premierminister an. Er möchte sozialdemokratische Anliegen mit einem größeren Handlungsspielraum in der freien Marktwirtschaft verbinden, um den Anschluss an die Moderne nicht zu verlieren. Bis Anfang 1997 erreicht der Dow-Jones-Index an der Wall Street Rekordhöhen, und an der Nas-daq, der ersten elektronischen Börse für Technologieaktien von Unternehmen wie Microsoft, Yahoo, Apple und Google, legt der Index noch mehr zu. Steve Jobs ist soeben in die Führungsspitze von Apple zurückgekehrt und will das Unternehmen aus der Krise führen, was ihm bekanntlich bravourös gelingt.
    Im Einklang mit dem Zeitgeist verlangt der euphorische Westen nach immer mehr Kokain. Koks ist ein weißer Fleck auf diesem Bild des Optimismus, und es wird mit Kolumbien gleichgesetzt. Warum sollte man hinnehmen, dass in einer Zeit des grenzenlosen Warenverkehrs

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