ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
morschen Türen. Verglichen mit den anderen Dorfbewohnern ist Marco Aurelio Areiza mit zwei Lebensmittelläden ein reicher Mann. Doch da das Dorf im Operationsgebiet der FARC liegt, setzt er jeden Tag sein Leben aufs Spiel. Marco Aurelio hat nie bestritten, dass er den Guer-illeros Lebensmittel verkauft. Wenn er es getan hätte, wäre er schnell für verrückt erklärt worden. Denn wer konnte es sich erlauben, bewaffneten Männern aus dem Dschungel eine Absage zu erteilen? In den geschundenen Landstrichen Kolumbiens gilt das ungeschriebene Gesetz, mit dem zu kooperieren, der eine Waffe in der Hand hält, egal, welche Uniform er trägt. Tatsächlich arbeitet Marco Aurelio auch mit Salvatore Man-cusos Kämpfern zusammen, die ihm vorwerfen, er unterstütze die Guerilleros. Es ist ein Scheinverhör, denn über das Dorf und seine Bewohner wurde bereits am Tag zuvor das Todesurteil verhängt. El Aro ist ein Vorposten, der erobert werden muss, ein Brückenkopf zu den von den FARC kontrollierten Territorien. Sein Schicksal soll eine Warnung an alle anderen Dorfgemeinschaften sein.
Die hundertfünfzig Männer von Mancusos Bloque Cata-tumbo foltern und töten siebzehn Menschen, sie brennen dreiundvierzig Häuser nieder, rauben tausendzweihundert Stück Vieh und zwingen siebenhundertzwei Menschen dazu, ihre Behausungen zu verlassen. Marco Aurelio wird gefoltert, seine Leiche zerstückelt. Als die Polizei in El Aro eintrifft, findet sie Rosa Maria Posada, die bei ihrem Mann die Totenwache hält. Sie will nicht, dass die Kinder den gemarterten Körper des Vaters sehen.
Niemand bezweifelt, dass in Kolumbien dramatische Veränderungen notwendig sind. Es beginnt ein Wahlkampf, der dem Land - und auch dem Weißen Haus - neue Hoffnung gibt. Für einen der Kandidaten spricht, dass er bei den letzten Präsidentschaftswahlen wegen der vom Cali-Kartell gekauften Stimmen den Sieg verfehlt und Ende der achtziger Jahre wie durch ein Wunder eine Entführung überlebt hatte. Damals war er Bürgermeisterkandidat von Bogota gewesen und hatte nach seiner Befreiung das Amt auch tatsächlich angetreten. Der bei
den Kokainbaronen verhasste Politiker scheint der Richtige zu sein, um das Land zu führen.
Andres Pastrana verspricht einen Prozess der Befriedung und eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Die Wahl 1998 gewinnt er mit der Aussicht auf eine Große Allianz für den Wandel (Gran Alianza por el Cambio), zu der er die Abgeordneten aller politischen Parteien auffordert. Endlich ist auch in Kolumbien der Augenblick des Optimismus und der großen Verhandlungen gekommen.
Der neue Präsident verhandelt, wie verspochen, gleichzeitig mit den FARC und mit den Vereinigten Staaten. Dass dies in Washington nicht sofort auf Widerstand stößt, ist weniger der demokratischen Regierung Clinton als den weltweit zu beobachtenden hoffnungsvollen Entwicklungen zu verdanken. Verhandlungsbereit ist jemand, der sich stark und dazu berufen fühlt, die Schlacht für den Rechtsstaat zu gewinnen. Im ausgebluteten Bosnien-Herzegowina werden die 1995 in Dayton unterzeichneten Vereinbarungen umgesetzt. Im Zuge der Osloer Verträge wird der Friedensprozess zwischen Israel und Palästina in kleinen Schritten wiederaufgenommen. Doch das vielleicht ermutigendste Beispiel kommt aus Großbritannien: Die Regierungen und Parteien schließen einen dauerhaften Waffenstillstand und vereinbaren die Entwaffnung der IRA: In Nordirland ist mit dem Karfreitagsabkommen das Ende eines langen und verheerenden Konflikts zum Greifen nahe. Das Wort Frieden ist jetzt in aller Munde.
Doch die ehrgeizigen Pläne, die in Kolumbien umgesetzt werden, sind nur zum Teil erfolgreich. Denn es geht nicht nur um das illegale Kommando von Männern, die gegensätzliche politische Ziele verfolgen. Personen können leicht ausgeschaltet werden. Aber solange Kokain die begehrteste Ware ist, wird
es nicht verschwinden. Pastranas Experiment, den Guerilleros eine Zona de Distencion, ein »Entspannungsgebiet«, zur Verfügung zu stellen, war von Anfang an schlecht durchdacht und sehr gewagt. Die FARC können in dem ihnen zugewiesenen Terrain nach Belieben schalten und walten und denken nicht im Traum daran, ernsthaft zu verhandeln. Sie stimmen keinem Waffenstillstand zu, sondern verstärken die Militarisierung durch Entführungen, Erpressung von Lösegeld und Überfälle auf Dörfer. Es bleibt alles beim Alten. Und die Enttäuschung darüber schmälert die Popularität des Staatspräsidenten.
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