ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
steigende Zahl hochrangiger Überläufer aus den Reihen der Narcos für Zwietracht, vor allem im Norte-del-Valle-Kartell und in den geschlossenen Reihen der Autodefensas-Gruppen.
Inmitten dieses unterschwelligen, fieberhaften Aufruhrs erhält Natalia Paris eine großartige Einladung. Sie soll Werbeträgerin von Colombiamoda werden, der wichtigsten Modemesse ihres Landes. Sie tritt in einem weißen Kleidchen auf, das ein Hochzeitskleid sein könnte, wenn es nicht zwei riesige Flügel aus Seide hätte, und im offenen Haar trägt sie ein Blumenkränzchen. Sie ist achtundzwanzig Jahre alt und Mutter einer Tochter, die noch nicht einmal laufen kann, trotzdem wirkt sie wie ein kleines Mädchen. Ihr Blick schweift durch die Reihen des Parketts, als wollte sie das kolumbianische Publikum umarmen, das sie mit warmem Beifall empfangen hat. Doch ihre nussbraunen Augen suchen eine ganz bestimmte Person. Julio hatte ihr versprochen zu kommen, damit sie den begehrlichen Blicken der Männer nicht schutzlos ausgeliefert ist. Außerdem hatten sie seine heimliche Rückkehr nach Kolumbien zur Taufe Marianas nutzen wollen. Doch Julio Cor-rea alias Fierro ist wie vom Erdboden verschwunden.
Monatelang sucht Natalia immer wieder die Staatsanwaltschaft auf, sie wird vernommen und soll ihren Mann anhand von Fotos aufgefundener Leichen identifizieren, die manchmal nur noch brutal gemetzelte Fleischklumpen sind. Ohne Erfolg. Sie ist jedes Mal erleichtert und schöpft erneut Hoffnung: eine absurde, quälende Hoffnung. Inzwischen steht fest, dass er entführt wurde, aber vielleicht ist er ja noch am Leben. Sie darf die Hoffnung nicht aufgeben, sie muss weiter beten, ihr Kind an sich drücken und den Gedanken an das verdrängen, was sein Vater erlitten hat.
Julio Cesar Correas Vermögen in Kolumbien wird beschlagnahmt, Natalia Paris wird das US-Visum entzogen. Ihre Werbeverträge werden annulliert. Es ist das Ende, die höhnische Wiederholung eines Schicksals. Ihre Mutter hatte sie gewarnt, sie wusste, was es bedeutet, mit einem acht Monate alten Kind allein dazustehen. Dona Lucia hat recht behalten.
Doch jetzt, als Mutter, entdeckt Natalia neue, kämpferische Ressourcen in sich, die sie mobilisieren muss. Sie darf nicht den Mut verlieren. Kurz bevor ihre Welt zusammengebrochen ist, hat sie eine Sonnencreme auf den kolumbianischen Markt gebracht, die ihren Namen trägt. Sie bereist das ganze Land, um dafür zu werben, sie gibt Autogramme und schließt Verträge, um das Produkt in die Supermarktregale zu bringen. Damit beginnt ihr Wiederaufstieg. Langsam wird sie wieder das, was sie bis heute ist: eine Ikone Kolumbiens und ein Sexsymbol Lateinamerikas. Aber sie ist jetzt auch Unternehmerin in eigener Sache. Eine Unternehmerin, die weiß, dass sie die Zeit nicht anhalten kann. Sie wird wütend, wenn man auf ihr Alter anspielt, und je mehr Jahre vergehen, desto jünger macht sie sich. Ihr Körper ist ihr Kapital, sie kann nicht riskieren, dass er an Wert verliert.
Julio Fierros Leiche wurde nie gefunden.
Das Rätsel seines Verschwindens entfesselte eine Flut von Mutmaßungen über seine potenziellen Mörder. Der Verdacht fiel vor allem auf das Norte-del-Valle-Kartell, weil es den schlechtesten Ruf hatte und im Fadenkreuz der amerikanischen Strafverfolger stand, mit denen Fierro zusammengearbeitet hatte. Erst in jüngster Zeit kam die mutmaßliche Wahrheit über seinen Tod ans Licht. Eine entsetzliche Wahrheit, die ein Schlaglicht auf einen noch viel größeren Horror wirft.
Nach Aussagen mehrerer Gefolgsleute der AUC trafen sich nach Bekanntwerden von Fierros Aufenthalt in Kolumbien Carlos Castano, El Mono und ein Boss namens Daniel Mejia, genannt Danielito. Am Ende der Unterredung erteilte Castano den Befehl, den Verräter an dem Ort bei Medellin zu entführen, wo er sich verborgen hielt, und per Hubschrauber ins Departement Cordoba zu bringen. Dort wurde er gefoltert; unter anderem wollten seine Entführer ihn zwingen, ihnen einen Teil seines Vermögens abzutreten. Als man ihn endlich tötete -Gerüchten zufolge mit einer Kettensäge, nachdem man ihn nach Medellin zurückgebracht hatte -, wurde Danielito damit beauftragt, die Leiche verschwinden zu lassen. Die Wahl fiel nicht zufällig auf ihn.
Daniel Mejia gehörte dem militärischen Block dieser Region an, vor allem aber hatte er die Aufgabe, die Morde, die auf das Konto der Autodefensas gingen, zu vertuschen: eine neue Strategie. Die Massaker gingen zwar unvermindert weiter, doch die
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