ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
scheint. Kolumbien befindet sich in einer schwierigen Situation. Der Regierung fehlt es mehr als je zuvor an demokratischer Legitimation, sie ist weder imstande, sich im eigenen Land durchzusetzen, noch Kolumbien im Ausland zu repräsentieren. In gewisser Hinsicht können die USA von dieser Schwäche profitieren. Im letzten Jahr der Regierung von Präsident Ernesto Samper Pizano, der sich vor Gericht gegen den Vorwurf verteidigen muss, mit Unterstützung des Cali-Kartells an die Macht gekommen zu sein, wird Artikel 35 der Verfassung geändert und damit die so lange erwartete beziehungsweise gefürchtete Auslieferung in die USA wieder ermöglicht. Der kolumbianische Präsident weiß, dass er nichts mehr zu verlieren hat.
Für den Augenblick können die Vereinigten Staaten auf offiziellem Weg nicht mehr erreichen. Der Sinn dieser geheimen Treffen, die die DEA von Miami aus organisiert, erschließt sich nur vor dem Hintergrund der neuen rechtlichen Situation. Die Gefahr, ohne Strafnachlass ausgeliefert zu werden, macht die Alternative einer fast völligen Straffreiheit im Tausch gegen die Zusammenarbeit mit den US-Behörden und die Zahlung großer Summen illegalen Geldes attraktiv. Ins Fadenkreuz der DEA geraten alle Exponenten der wahren Macht: Bosse, die noch an der Spitze der alten Kartelle stehen, hochrangige Mitglieder der aufstrebenden neuen Kartelle und Narcos, die auf allen Hochzeiten tanzen können, wie Julio Fierro, aber auch die
Männer der Autodefensas von Mancuso und den Brüdern Castano, die eine wachsende Bedrohung darstellen. Nach der Zerschlagung des Cali-Kartells verzeichneten die Paramilitärs eine steigende Nachfrage nach Sicherheitsdienstleistungen für neue Gruppen wie das Kartell Norte del Valle. Auch im Drogenhandel gewinnen sie zunehmende Autonomie und damit Macht über das Territorium. Bald kontrollieren sie alle Glieder der Kette: vom Anbau über die Transportrouten bis zu den Verhandlungen mit den Abnehmern. Die Coca-Bauern, die cocaleros, des Departements Cordoba stehen zur einen Hälfte in ihren Diensten, zur anderen Hälfte im Dienst der linken Guerilleros. Beide Lager sind militärisch gut aufgestellt. 1997 schließen sich die Selbstverteidigungsgruppen unter Führung von Carlos Castano zu den AUC zusammen, den Autodefensas Unidas de Colombia. El Mono ist ihr Mitbegründer und übernimmt den Oberbefehl über die größte militärische Formation der AUC, den Bloque Catatumbo, mit einer Stärke von 4500 Mann.
Der Konflikt verliert seinen ideologischen Charakter und entwickelt sich immer mehr zu einem Eroberungskrieg. Sieht man von den verkrusteten Resten des rechtsextremen Nationalismus und des revolutionären Marxismus ab, nimmt Kolumbien jene postmoderne Barbarei vorweg, die heute in Mexiko grassiert. Die AUC sind die Doyens der Familia Micho-acana und des Templerorden-Kartells. Immer häufiger überfallen sie Dörfer in den von Guerillagruppen kontrollierten Gebieten und schlachten die Bewohner ab. Mit Macheten und Kettensägen enthaupten und zerstückeln sie die Bauern, doch ihre Operationen planen sie mit kalter militärischer Berechnung und kommen mit Militärflugzeugen über Hunderte
Kilometer Entfernung, um nach dem Ende des Massakers wieder zu verschwinden.
Die Grenze des Erträglichen ist erreicht, und die Öffentlichkeit ist immer weniger bereit, die Rechtfertigung für diese Massaker hinzunehmen: die alte Leier, die Kleinbauern würden die Guerilla unterstützen. Die Strategie des Kräfteausgleichs hat sich als eklatanter Fehlschlag erwiesen. Kaum sechs Monate nach Gründung der AUC erklärt das kolumbianische Verfassungsgericht jenen Teil des Dekrets für ungültig, der die privaten Sicherheitskooperativen regelt. Die paramilitärischen Gruppen werden aufgefordert, die Waffen abzugeben, die ihnen das Militär zugestanden hat, und die Menschenrechte zu respektieren.
Aber dafür ist es zu spät. Carlos Castano hat über 30000 Mann unter seinem Kommando, und die Gewinne aus dem Kokainhandel sind mehr als ausreichend, um die Gruppen nach Bedarf mit allen möglichen Kriegswaffen zu versorgen.
Sie mit einem Mal für illegal zu erklären macht sie nur noch unerbittlicher. In alten Hollywood-Western wird der Held mit der gezückten Pistole niemals zum gnadenlosen Outlaw. In der Heimat des Kokains dagegen geschieht etwas noch viel Schlimmeres. El Mono mutiert zu einem Chefstrategen des Horrors.
El Aro ist ein kleines Dorf mit sechzig Häusern: Hütten mit Wellblechdächern und
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