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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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macht tatsächlich den Eindruck eines aufrichtigen und wohlerzogenen Menschen und wirkt ganz anders als die abstoßenden, vulgären traquetos, denen sie im Gericht begegnet. Aber Dona Lucia wahrt stets eine eisige Höflichkeit. Sie will sich nicht kleinkriegen lassen, sie muss diese Verbindung sprengen.
    Doch ihre Tochter ist immer noch so verrückt nach ihm wie am ersten Tag. Und die Tränen und Drohungen der Mutter und die heftigen Streitereien treiben Natalia nur noch mehr in Julios Arme. Eines Morgens kommt Natalia mit erschreckend ernstem Gesicht in die Küche, mit geschwollenen, geröteten Augen. Sie ist noch nervöser als sonst und hat schlecht geschlafen. Sie sagt kein Wort, bis ihr Stiefvater, Dona Lucias Lebensgefährte, hinzukommt.
    »Natalia möchte dir etwas sagen.«
    »Ich bin schwanger, Mama. Im vierten Monat.«
    Die Katastrophe ist da, und Lucia Gaviria erfährt es als Letzte. Eine Woche lang spricht sie kein Wort mit ihrer Tochter.
    Aber so kann es nicht weitergehen. Zum ersten Mal in all den Jahren hat auch Natalia Angst. Sie lebt jetzt nicht mehr im Märchenland. Medellin ist kein Märchenland, sie braucht die Hilfe ihrer Mutter. Eines Tages kauft Dona Lucia ihr ein Paar bequeme Tennisschuhe für die kommenden Monate, wenn das Baby in ihrem Bauch immer schwerer wird. Sie legt die Schuhschachtel auf Natalias Bett mit einem Zettel, auf dem steht: »Gott segne dich.« An jenem Abend weinen sie beide. Natalia in ihrem Zimmer, ihre Mutter im Wohnzimmer. Aber sie hören einander durch die Tür.
    Natalia hat einen Vertrag für die neue Werbekampagne von Cristal Oro, und als die Fotoaufnahmen beginnen sollen, ist sie
    im siebten Monat. Ist es an Lucia Gaviria abzusagen? Und unter welchem Vorwand?
    Auf Julio ist Dona Lucia wütender als je zuvor, auch wenn er den Erwartungen an einen kolumbianischen Mann voll gerecht wird. Er will Natalia heiraten. Dass sie ein Kind von ihm erwarte, sei das Schönste, was ihm in seinem bisherigen Leben passiert sei, und am Ende werde alles gut, sagt er. Ihre Tochter überlässt sich ganz seinen Vorstellungen. Und doch scheint es jetzt, als sei das Glück der Tochter nicht mehr die Kehrseite der mütterlichen Angst. Natalia schläft jetzt wieder besser, sie sieht strahlender aus. Dona Lucia führt es auf die hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft zurück, doch dann teilt Natalia ihr mit:
    »Wir haben die Lösung gefunden, Mama. Wir gehen in die USA, um ein neues Leben zu beginnen!«
    Ein neues Leben? In den USA?
    Die Vereinigten Staaten sind der Albtraum jedes Drogenhändlers. Das Motto der kolumbianischen Narcos in den achtziger Jahren lautete: »Besser ein Grab in Kolumbien, als ein Gefängnis in den Vereinigten Staaten.« Hinzu kommt, dass der kolumbianische Staat, von den USA unter Druck gesetzt, 1997 das verfassungsrechtliche Verbot der Auslieferung an die USA aufgehoben hat. Die Naivität ihrer Tochter grenzt bisweilen wirklich an Dummheit.
    Doch ihre Worte erweisen sich als wahr.
    Kaum einen Monat später bricht Natalia nach Florida auf.
    Sie braucht nur ihre Koffer zu packen, für alles andere hat Julio gesorgt: für die Villa am Strand, das Visum und alle anderen Formalitäten für eine Übersiedlung. Besser gesagt: Seine neuen amerikanischen Kontakte haben dafür gesorgt. Nicht die
    Importeure des weißen Pulvers, sondern deren Gegenspieler: die DEA von Miami.
    Julio Cesar Correa hat als einer der ersten kolumbianischen Narcos eine Vereinbarung getroffen, die es offiziell gar nicht geben darf. Mit ihr soll ein Anfang gesetzt, ein anspornendes Beispiel gegeben werden. Er wird zu den Glücklichen gehören, die keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen müssen und nicht dafür vor Gericht gestellt werden, dass sie die Straßen Nordamerikas mit Kokain überschwemmt haben. Seine Gegenleistung ist die Zahlung von ein paar Millionen Narcodollar an die USA und die Preisgabe wertvoller Informationen.
    Dieser Deal, auf den sich die DEA von Miami eingelassen hat, mutet an wie die Strategie einer radikalen Splittergruppe, wie die Wahnvorstellung eines Verschwörungstheoretikers, der überall die Kräfte des Bösen und der Korruption am Werk sieht. Ein Plan, den kein vernünftiger Mensch gutheißen kann. Die »Weltpolizei« kann jemandem, der sich auf dem Territorium ihrer Rechtsprechung schwerer Vergehen schuldig gemacht hat, die Strafe nicht ganz oder teilweise erlassen.
    Doch genau hier liegt das erste Problem der Ermittler von Miami. An einen Narco

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