Zersetzt - Thriller (German Edition)
gefährlich. Schlafen Sie jetzt erst mal für ein paar Stunden. Die Praxis ist drei Tage geschlossen, daher erwarte ich keine anderen Patienten.« Julia hatte den Eindruck, dass sie immer tiefer in das Sofa einsank. Das pelzige Gefühl auf ihrer Zunge war unangenehm und erschwerte das Sprechen.
»Was haben Sie mir …« Julia konnte diesen Satz nicht beenden. Ihr fielen die Augen zu.
***
Die unerträgliche Stille herrschte erst seit einigen Sekunden, doch Julia kam es wie eine Ewigkeit vor. Kriminalhauptkommissar Lenz war der Erste, der sich zu diesem schockierenden Anruf äußern konnte:
»Das ist ein Bluff. Glauben Sie mir, die wollen ja schließlich etwas von Ihnen.« Lehmann, Felix und Julia standen wie gelähmt vor dem verhassten Telefon und fanden keine Worte. Ich wusste es, hätte ich nur auf meine innere Stimme gehört. Beim ersten Läuten zuckten alle zusammen. Beim zweiten wies Lenz Julia an, das Telefonat entgegenzunehmen. Noch bevor das Klingeln zum dritten Mal ertönen konnte, hob Julia den Hörer ab.
»Ich hoffe, Sie wissen jetzt, wie ernst es uns ist. Sie bekommen noch eine Chance, nur eine, verstanden?«
»Ja, verstanden«, bestätigte Julia.
»Sie … und hören Sie mir gut zu, nur Sie, Frau Hoven, fahren jetzt sofort mit der U-Bahn bis zum Alexanderplatz. Sie erhalten weitere Anweisungen über Ihr Handy. Bringen Sie den Schlüssel in einem verschlossenen Umschlag mit, und wenn wir auch nur einen Bullen oder eine verdächtige Person in Ihrer Nähe sehen, dann ist die Kleine tot, ist das klar?«
»Ja, klar. Sarah gegen den Schlüssel«, wiederholte Julia.
»Halten Sie sich daran.« Als Julia den Hörer auflegte, brach Hektik aus. Der Hauptkommissar telefonierte mit seinem Team im Präsidium. Die Kollegen in der Redaktion erhoben sich von ihren Plätzen, bildeten Gruppen und diskutierten lautstark. Nur Lehmann, Felix und Julia standen immer noch schockiert da und betrachteten das aufkommende Chaos.
»Ich lass dich das nicht alleine durchziehen«, flüsterte Felix Julia ins Ohr.
Die U-Bahn war voll besetzt an diesem Abend. Kein Wunder, denn um diese Uhrzeit hatte die Mehrheit der Berufstätigen Feierabend. Gutes Timing, deshalb haben die Entführer drei Stunden gewartet. Julia, die einen Fensterplatz ergattert hatte, saß neben einer Frau im mittleren Alter. Einen Teil ihrer vollgepackten Taschen stellte die Dame auf Julias Oberschenkel ab. Es war Julia in diesem Moment egal, dass die Mitfahrende sie als Abstellfläche benutzte. Sie registrierte auch nicht das Gedränge an den U-Bahn Stationen oder den Schweißgeruch, der in der Luft lag. Auch wenn die Beamten die U-Bahn Station bewachen, wie wollen sie denn bei dem Gedränge einen Überblick behalten? Wie wird die Übergabe vonstatten gehen? Ob sie das Kind dabei haben? Wenn nicht … übergebe ich den Umschlag mit dem Schlüssel trotzdem? Queen ertönte in voller Lautstärke, in diesem Ambiente interessierte sich allerdings kein Mensch für Julias Klingelton. Mit einer Hand hielt sie den Umschlag fest umklammert, mit der anderen griff sie nach ihrem Handy, das sich in ihrer Jackentasche befand.
»Sie steigen am Alexanderplatz aus und begeben sich über die tiefer gelegene Querebene zur Station der U-5. Sie wiederholen kein einziges Wort von diesem Telefonat. Sie verhalten sich ruhig und laufen langsam, den Umschlag sichtbar in Ihrer Hand. Nicken Sie, wenn Sie verstanden haben.« Julia gehorchte.
Nachdem Julia ihr Smartphone wieder verstaut hatte, betrachtete sie sich die Gesichter im U-Bahn-Waggon genauer. Sie sehen mich, genau jetzt, sie beobachten mich, jede meiner Bewegungen. Tiefer gelegene Ebene? Ich kenne mich doch in Berlin nicht aus und schon gar nicht in der U-Bahn Station. Wenn ich jemanden frage?… aber die Entführer denken dann … Keines der Gesichter kam ihr bekannt vor. Bei dem Gedränge konnte sie allerdings auch nicht alle Fahrgäste gut erkennen. Einige Köpfe, der stehenden Mitfahrenden, die sich in der nächsten Kurve zur Seite neigten, gaben ihr den Blick auf einen Mann frei, der einige Meter entfernt mit dem Rücken zu ihr stand. Diese Statur? Hellblonde kurze Haare? Aber wo … und wer, ich kann mich auch täuschen.
Am Alexanderplatz angekommen, hatte sie Mühe, aus der U-Bahn zu steigen, denn die entgegenkommenden Passanten, die bereits eine Traube vor der Einstiegstür gebildet hatten, drängten sie wieder zurück. Rucksäcke wurden an ihre Brust gepresst, Ellbogen schubsten und ein
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