Zersetzt - Thriller (German Edition)
schwergewichtiger Mann trat auf ihren Fuß. Sie sah sich erschrocken um, als sie eine Hand auf ihrer spürte. Eine Frau stieß Julia die spitze Kante ihres Aktenkoffers an die Hüfte. Im nächsten Augenblick wurde ihr der Umschlag entrissen.
»Neeiin«, schrie Julia und stolperte durch das Gedränge aus der U-Bahn. Sie blickte hektisch von Person zu Person. Kinderwagen, Jugendliche – nein. Ältere Herren und Damen, vollgepackt mit Tüten und Taschen – nein. Sie drehte sich um. Ein Zugschaffner, Herren im Businessanzug – nein. Das darf nicht wahr sein .
»Der Umschlag ist weg, hören Sie, Herr Lenz? Ich habe keine Ahnung, wer ihn mir weggenommen hat.« Eine Gruppe Punker mit ihren Hunden – nein. Ein Mann mit einem Kind an der Hand, das er hinter sich herzog – nein. Doch! Sie lief los, sah nicht mehr nach rechts oder links und rannte dem Mann hinterher. Das Mädchen an seiner Hand drehte sich einige Male um und schrie:
»Nein, nein, nein, lass mich los, geh weg, du bist doof.« Das sind sie, das müssen sie sein. Julia spurtete zu dem Kind, das nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt war. Sie streckte die Hand aus und wollte das Mädchen an seiner Jacke zu fassen bekommen. Im gleichen Augenblick umringten fünf Polizisten mit ihrer Waffe im Anschlag den Unbekannten, das Kind und Julia. Die Kleine riss sich aus der Hand des Mannes los.
»Sarah«, sagte Julia erleichtert. Das Mädchen sah Julia an.
»Ich dachte, eine gute Fee kennt meinen Namen. Ich heiße nämlich Leonie, und wo ist jetzt meine Puppe, hä?«
Der Mann konnte glaubhaft bestätigen, dass seine Tochter einfach nur bockig war, weil er ihr die gewünschte Barbiepuppe nicht gekauft hatte. Danach verabschiedete sich der Herr und ging mit seiner Tochter an der Hand in Richtung Bahnsteig. Lenz wies seine Männer an auszuschwärmen. Der Kriminalhauptkommissar zog sein Handy aus der Tasche und versuchte gleich darauf, dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung die Dringlichkeit begreiflich zu machen, alle Züge zu stoppen.
»Das ist mir egal, ob Feierabendverkehr herrscht…. Bis ich bei Ihnen bin und mich ausgewiesen habe, kann es aber schon zu spät sein. Jetzt hören Sie mir mal zu …« Julia spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um.
»Felix.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich dich nicht im S-S-Stich lasse.«
Ein ohrenbetäubender Knall unterbrach Felix. Aus einem Mülleimer in nächster Nähe schossen meterhohe Flammen. Der schwarze Qualm verbreitete sich in Windeseile in der U-Bahn-Station.
»Sie gehen mit meinem Kollegen, los, raus hier«, sagte Lenz, wies auf Julia und Felix und verständigte sofort die Rettungskräfte. Die übrigen Beamten kümmerten sich um die Evakuierung des U-Bahnhofes.
Der aufkommenden Massenpanik hatten die Beamten nichts entgegenzusetzen und so nahm das Chaos seinen Lauf. Die Menschen liefen wild durcheinander, schubsten andere zur Seite und traten auf Personen, die in dem Tumult gestürzt waren. In dem herrschenden Ausnahmezustand war sich jeder selbst der Nächste. Kurz darauf explodierte ein zweiter Mülleimer.
Julia und Felix hielten sich an der Hand und rannten, wie von Lenz angewiesen, dem Beamten hinterher. Einige eilten panisch an die Notausgänge, wieder andere rannten zum Aufgang, der vom U-Bahnhof zum Alexanderplatz führte. Der Polizist wurde mit einem entgegengesetzten Menschenstrom mitgerissen und verschwand aus Julias Sichtweite. Das Gedränge wurde größer – Julias Panik auch. Felix drückte Julias Hand immer fester. Sie wurden von allen Seiten angerempelt, geschüttelt. Ein junger Mann quetschte sich von hinten durch das Getümmel und durchbrach Felix' Umklammerung.
»Felix«, schrie Julia, doch er war schon zu weit entfernt. Jeder Versuch, sich aus dem Massenschwarm zu befreien, scheiterte. Sie wurde gestoßen, eingeengt und bekam keine Luft mehr. Sie konnte die aufkommende Hyperventilation kaum noch unter Kontrolle halten. Der Druck auf ihren Brustkorb vergrößerte sich, der Druck in ihrem Magen auch. An der Treppe zum Alexanderplatz angekommen, musste Julia mit aller Kraft dagegen ankämpfen, nicht auch auf die nächste Stufe zu stürzen. Sie hatte keine Chance auszubrechen, keine Möglichkeit, diesem Wahnsinn zu entkommen.
An der obersten Stufe angelangt, griff eine Hand nach ihr und zog sie auf die Seite. Der Polizist brachte Julia zu einem Einsatzfahrzeug.
»Warten Sie hier. Bis Verstärkung eingetroffen ist, muss ich bei der Evakuierung
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