Zerstöre mich
Noch nie habe ich mich so danach gesehnt, sie zu sehen, mit ihr zu sprechen.
Ich will ihr sagen, dass ich sie jetzt verstehen kann. Dass ich sie vorher nicht verstanden habe. Dass wir uns ähnlich sind; auf so vielen Ebenen, von denen ich vorher nichts wusste.
Aber jetzt ist sie verschwunden. Ist irgendwo mit Fremden zusammen, die sie nicht kennen und nicht so für sie sorgen können, wie ich es tun würde. Sie ist ein weiteres Mal abrupt in eine unbekannte Umgebung gebracht worden, und ich mache mir Sorgen um sie. Ein Mensch mit ihrer Vergangenheit heilt nicht über Nacht. Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sie wird sich komplett verschließen. Oder aber sie explodiert.
Ich setze mich zu schnell auf, ringe keuchend um Luft.
Streiche mir die nassen Haare aus dem Gesicht. Lehne mich an die Kachelwand. Warte ab, bis die kühle Luft mich beruhigt, meine Gedanken klärt.
Ich muss sie finden, bevor sie innerlich zerbricht.
Noch nie zuvor wollte ich mit meinem Vater zusammenarbeiten und mir seine Ziele und Methoden zu eigen machen. Doch im Moment bin ich zu fast allem bereit, um sie zurückzubekommen.
Und ich kann es kaum erwarten, Kent das Genick zu brechen.
Dieser verräterische Dreckskerl. Dieser Idiot, der glaubt, sich ein hübsches Mädchen geangelt zu haben. Der hat doch keine Ahnung, wer sie ist. Und wer sie noch werden kann.
Und wenn er glaubt, er wäre ihr auch nur annähernd gewachsen, ist er ein noch schlimmerer Dummkopf, als ich ohnehin schon angenommen habe.
19
»Wo ist der Kaffee?«, frage ich und blicke auf dem Tisch umher.
Delalieu lässt seine Gabel fallen. Sie landet klirrend auf dem Teller, und Delalieu starrt mich mit aufgerissenen Augen an. »Sir?«
»Ich möchte ihn mal probieren«, erkläre ich und versuche mit der linken Hand meinen Toast mit Butter zu bestreichen. Ich werfe Delalieu einen Blick zu. »Sie reden doch ständig von Ihrem Kaffee, oder nicht? Da dachte ich mir –«
Delalieu springt wortlos auf und rennt zur Tür hinaus.
Ich lache in mich hinein.
Er rollt den Kaffeewagen selbst herein und platziert ihn neben mir. Mit zitternden Händen gießt er die dunkle Flüssigkeit in eine Tasse, stellt sie auf einen Unterteller und reicht sie mir.
Ich warte, bis er sich wieder gesetzt hat, dann probiere ich den ersten Schluck. Ein seltsamer, obszön bitterer Geschmack, ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich schaue auf. Bin verwundert darüber, dass ein Mann wie Delalieu seinen Tag beginnt, indem er sich mit einer derart schrecklich schmeckenden Flüssigkeit stählt. Ich beschließe, ihm dafür Respekt zu zollen.
»Nicht schlecht«, sage ich.
Er lächelt so glückselig, dass ich mich frage, ob er mich falsch verstanden hat. Und sagt strahlend: »Ich trinke ihn mit Sahne und Zucker. Dann schmeckt er viel besser als –«
»Zucker.« Ich stelle die Tasse ab. Presse die Lippen zusammen, um mein Lächeln zu verbergen. »Sie trinken ihn mit Zucker. Natürlich. Das passt viel besser.«
»Möchten Sie Zucker, Sir?«
Ich halte abwehrend die Hand hoch. Schüttle den Kopf. »Rufen Sie die Truppen zurück, Lieutenant«, sage ich. »Wir rücken von jetzt an nicht mehr tagsüber, sondern nur noch nachts aus, nach der Sperrstunde. Sie bleiben hier im Stützpunkt«, erkläre ich, »und nehmen die Befehle des Obersten entgegen, die ihnen von dessen Männern überbracht werden. Erledigen Sie alles genau nach Anweisung. Ich werde die Truppen selbst anführen.« Ich halte inne. Fixiere ihn. »Es darf nichts mehr durchsickern. Absolut nichts, was die Zivilbevölkerung zu Spekulationen veranlassen könnte. Haben Sie verstanden?«
»Ja, Sir«, sagt Delalieu. Seinen Kaffee hat er vergessen. »Ich werde den Befehl weitergeben.«
»Gut.«
Er steht auf.
Ich nicke.
Er geht hinaus.
Zum ersten Mal, seit Juliette verschwunden ist, spüre ich einen Anflug von Hoffnung. Wir werden sie finden. Angesichts dieser neuen Informationen – eine gesamte Armee, die gegen einen Haufen ahnungsloser Rebellen antritt – erscheint es absurd, dass diese Mission scheitern könnte.
Ich hole tief Luft. Trinke noch einen Schluck Kaffee.
Und wundere mich, wie sehr mir dieser bittere Geschmack zusagt.
20
Als ich in mein Zimmer zurückkomme, finde ich dort meinen Vater vor.
»Befehle sind erteilt«, sage ich, ohne ihn anzusehen. »Wir rücken heute Abend aus.« Ich zögere. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich habe zu tun.«
»Wie fühlt es sich an«, fragt er, »so behindert zu sein?« Er
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