Zerstöre mich
lächelt. »Wie kannst du dir selbst noch ins Gesicht schauen mit dem Wissen, von deinen eigenen Untergebenen attackiert worden zu sein?«
Ich bleibe an der Tür zu meinem Büro stehen. »Was willst du?«
»Was«, fragt er, »fasziniert dich so an diesem Mädchen?«
Ich erstarre innerlich.
»Sie ist mehr für dich als nur ein Experiment, nicht wahr?«
Ich drehe mich langsam um. Er steht in der Mitte des Raums, Hände in den Hosentaschen, ein angewidertes Lächeln auf den Lippen.
»Wovon redest du?«
»Schau dich doch nur an«, erwidert er. »Ich habe noch nicht mal ihren Namen ausgesprochen, und du brichst schon in Stücke.« Er schüttelt den Kopf, betrachtet mich forschend. »Du bist bleich, deine gesunde Hand ist verkrampft. Du atmest zu schnell, und dein gesamter Körper ist angespannt.« Er hält inne. »Du verrätst dich selbst, Sohn. Hältst dich für besonders schlau. Aber du vergisst, wer dein Lehrmeister war.«
Mir wird heiß und kalt zugleich. Ich versuche die Hand locker zu lassen, aber es geht nicht. Ich will sagen, dass er sich irrt, aber mir ist plötzlich schwindlig, und ich wünschte, ich hätte mehr gegessen zum Frühstück. Oder gar nichts.
»Ich habe wichtige Dinge zu erledigen«, bringe ich schließlich hervor.
»Sag mir«, fordert er, »dass es dir egal wäre, wenn sie zusammen mit den anderen getötet würde.«
»Was?« Das Wort entfährt meinen zittrigen Lippen zu schnell.
Mein Vater blickt zu Boden. Faltet die Hände, löst sie wieder. »Du hast mich in so vieler Hinsicht enttäuscht«, sagte er. Seine Stimme ist trügerisch sanft. »Ich möchte nicht, dass sich das jetzt ein weiteres Mal wiederholt.«
Einen Moment lang fühle ich mich, als stünde ich außerhalb meines Körpers und betrachtete mich selbst. Ich sehe mein Gesicht, den verletzten Arm, meine Beine, die mein Gewicht scheinbar nicht mehr tragen können. In meinem Gesicht brechen Risse auf, pflanzen sich über die Arme fort, über den Brustkorb, die Beine.
So ist es wohl, wenn man in Stücke bricht.
Ich merke erst, dass er meinen Namen sagt, als er ihn noch zweimal wiederholt hat.
»Was willst du von mir?«, frage ich, erstaunt darüber, wie ruhig ich mich anhöre. »Du kommst ohne meine Erlaubnis in mein Zimmer. Stehst hier und wirfst mir Dinge vor, die ich nicht verstehe. Ich befolge deine Anordnungen, deine Befehle. Wir werden heute Nacht ausrücken, und wir werden den Unterschlupf der Rebellen finden. Du kannst sie dann vernichten.«
»Und dein Mädchen?«, fragt er. Legt den Kopf schief. »Deine Juliette?«
Ich zucke zusammen, als er ihren Namen ausspricht. Mein Puls rast so wild, dass er zu raunen scheint.
»Wie würdest du es finden, wenn du ihr drei Kugeln in den Kopf jagen müsstest?« Er starrt mich an. Beobachtet mich. »Wärst du enttäuscht, weil du dein Lieblingsprojekt aufgeben müsstest? Oder am Boden zerstört, weil du das Mädchen verloren hast, das du liebst?«
Die Zeit scheint sich zu verlangsamen, scheint zu schmelzen.
»Es wäre Verschwendung«, antworte ich und versuche angestrengt, das Zittern in meinem Inneren zu ignorieren, das mich umzuwerfen droht, »etwas zu verlieren, in das ich so viel Zeit investiert habe.«
Er lächelt. »Gut, dass du es so siehst«, sagt er. »Aber Projekte lassen sich ja leicht ersetzen. Und ich bin sicher, dass wir eine bessere, sinnvollere Verwendung für deine Zeit finden werden.«
Ich blinzle langsam. Ein Teil meines Brustkorbs fühlt sich an wie eingestürzt.
»Natürlich«, höre ich mich sagen.
»Ich wusste, dass du das verstehen würdest.« Er schlägt mir auf die verletzte Schulter, als er sich zum Gehen wendet, und ich breche fast zusammen. »War ein guter Versuch, Sohn. Aber dieses Mädchen hat uns zu viel Zeit und Aufwand gekostet und sich dabei als komplett nutzlos erwiesen. So können wir uns diverser lästiger Elemente auf einmal entledigen. Wir betrachten sie einfach als Kollateralschaden.« Er wirft mir noch ein letztes Lächeln zu, bevor er rausmarschiert.
Ich sacke gegen die Wand.
Und sinke zu Boden.
21
Wenn man Tränen zu oft hinunterschluckt, fühlen sie sich wie Säure in der Kehle an.
Dieser schreckliche Moment, in dem man so still still still dasitzt weil man nicht beim Weinen ertappt werden will und nicht weinen möchte, aber die Lippen hören nicht auf zu zittern und die Augen sind voll bis zum Rand und ich flehe dich an und bitte und es tut mir leid und bitte und hab Mitleid und vielleicht ist es diesmal anders aber es ist
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