Zerstöre mich
schließlich Zugang zu Wasser und Lebensmitteln haben und deshalb in Kontakt mit der Gesellschaft stehen; unter der Erde kann man nichts anbauen. Doch das sind natürlich nur Spekulationen. Vielleicht haben die auch jemanden, der Essen aus Luft erzeugen kann.
Ich weise meine Männer an, sich zu zerstreuen und unauffällig zu bleiben. Sie sollen im Geheimen beobachten und mir dann berichten.
Als sie verschwunden sind, bin ich alleine mit meinen Gedanken. Die ein gefahrenreicher Ort sind.
Ich schließe die Augen, streiche mir übers Gesicht, lasse die Fingerspitzen auf den Lippen ruhen. Ich hatte Juliette wirklich gefühlt . Allein der Gedanke an sie bringt mein Herz wieder zum Toben. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll, wenn ich weiterhin diese intensiven Träume von ihr habe. Dann bin ich in Kürze komplett unbrauchbar.
Ich hole tief Luft und zwinge mich zur Konzentration. Sehe mich um. Mein Blick verweilt unwillkürlich bei den herumrennenden Kindern. Sie wirken so lebhaft und ungezwungen. Seltsamerweise macht es mich traurig, dass es ihnen gelingt, unter diesen Umständen glücklich zu sein. Sie haben keine Ahnung, was ihnen entgangen ist – wie die Welt früher einmal war.
Etwas stößt an meine Waden.
Ich höre ein eigenartiges, mühsames Keuchen und drehe mich um.
Ein Hund.
Ein halb verhungerter, erschöpfter Hund, so dürr und knochig, dass ein heftiger Windstoß ihn wohl umpusten könnte. Doch der Hund starrt mich an. Furchtlos. Mit offenem Maul und heraushängender Zunge.
Ich würde am liebsten laut lachen.
Schaue mich rasch um, dann nehme ich den Hund auf die Arme. Ich muss meinem Vater nicht noch mehr Gründe liefern, mich zu schmähen, und ich kann mich nicht darauf verlassen, dass meine Soldaten ihn nicht darüber informieren würden.
Dass ich mit einem Hund gespielt habe.
Ich höre schon förmlich, was mein Vater dazu sagen würde.
Ich trage das winselnde Wesen zu einem Containerblock, in dem sich niemand aufhält – ich habe gesehen, wie alle drei Familien zur Arbeit aufbrachen –, und ducke mich hinter einen Zaun. Der Hund ist offenbar schlau genug, um zu merken, dass er jetzt lieber nicht bellen sollte.
Ich setzte ihn ab, ziehe meinen Handschuh aus und hole das Gebäck aus der Tasche, das ich mir vom Frühstück mitgenommen hatte; wir waren so früh aufgebrochen, dass keine Zeit zum Essen blieb. Und obwohl ich keine Ahnung habe, was Hunde eigentlich fressen, halte ich dem Tier das Gebäck hin.
Der Hund beißt mir fast die Hand ab.
Schlingt das Plunderstück mit zwei Bissen hinunter und leckt mir dann die Finger ab. Drängt sich an mich, als wolle er in meinen Mantel kriechen. Ich unterdrücke das Lachen nicht, das aus meiner Kehle kommt; ich will es freilassen. Seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr gelacht. Und ich staune unwillkürlich über die Macht, die so ein kleines ahnungsloses Tier über uns Menschen haben kann; so leicht reißen sie unsere Mauern nieder.
Ich streiche über das räudige Fell, spüre die hervorstehenden Knochen. Der Hund scheint seinen erbärmlichen Zustand gar nicht zu bemerken, jedenfalls im Moment nicht. Er wedelt wie wild mit dem Schwanz und verrenkt den Hals, um mir ins Gesicht zu schauen. Ich bedaure es schon, dass ich die anderen Plunderstücke von heute früh nicht auch noch eingesteckt habe.
Etwas knackt.
Ich höre ein Keuchen.
Ich fahre hoch, drehe mich um. Halte nach der Ursache des Geräuschs Ausschau. Es war ganz in der Nähe. Jemand hat mich gesehen. Jemand –
Eine Zivilistin.
»Hey!«, schreie ich. »Sie da –«
Sie schaut auf.
Ich breche fast zusammen.
Juliette .
Sie starrt mich an. Sie ist tatsächlich hier, starrt mich mit aufgerissenen Augen panisch an. Meine Beine sind plötzlich bleischwer. Ich bin am Boden festgewachsen und kann keine Worte mehr bilden. Ich weiß nicht einmal, wie ich es versuchen soll. So vieles will ich ihr sagen, so vieles, das ich ihr nie erzählt habe, und ich freue mich so sehr, sie zu sehen – Gott, ich bin so erleichtert –
Sie ist verschwunden.
Ich blicke wild um mich, frage mich, ob ich jetzt endgültig den Verstand verliere. Der Hund sitzt immer noch da, wartet, und ich starre ihn fassungslos an. Verstehe nicht, was um alles in der Welt gerade passiert ist. Ich starre wieder auf die Stelle, an der ich Juliette gesehen habe, aber da ist nichts.
Nichts.
Ich streiche mir durch die Haare, so verwirrt, so verstört und wütend auf mich selbst, dass ich sie mir am liebsten ausreißen würde.
Was
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