Zerstörte Seelen
gewöhnliche.»
«Woher wissen Sie das?»
«Sie hat nicht die üblichen gelben oder rötlichen Streifen. Der Körper ist schwarz, die Augen sind ungewöhnlich groß. Dr. Perkins, geben Sie mir ein Probenglas aus dem Regal auf Ihrer Seite … Nein, noch ein Stück weiter. Aus dem unteren. Danke.»
Sie ließ das Insekt in das Glas fallen, dann leuchtete sie den Mund des Toten systematisch mit der forensischen Lampe ab. Sie sah sich die Spalte zwischen den Lippen und dem Zahnfleisch an und nahm plötzlich aus dem Augenwinkel einen schwachen Schimmer wahr.
Darby neigte den Kopf, blinzelte und bewegte die Hand mit der Lampe. Der Schimmer war verschwunden.
Aber irgendetwas war dort. Sie hatte auf der weichen Innenseite der Unterlippe etwas gesehen.
Darby holte sich einen forensischen UV -Strahler und richtete ihn auf die Furche zwischen dem Zahnfleisch und der Innenseite der Wange. Nichts. Langsam drehte sie die Lampe, veränderte den Winkel und wiederholte dann die Prozedur mit verschiedenen Lichtquellen. Sie hatte etwas gesehen. Sie wusste, dass sie sich das nicht …
Da. Auf dem weichen Fleisch der Innenseite der Unterlippe, in der Sulcus genannten Zahnfleischfurche, gab es einige fluoreszierende Linien, die sie nun auch mit bloßem Auge erkennen konnte. Darby suchte nach dem besten Winkel und der idealen Entfernung. Sie musste den Kopf ganz still halten, um alles genau sehen zu können.
Ellis beugte sich über den Toten.
«Was zum Teufel soll das denn sein?»
«Sieht aus wie ein Symbol. Wo ist Coop?»
«Ich hole ihn.»
Welche Bedeutung dieses Zeichen hatte, wusste Darby nicht. Sie wusste nur, dass es mit einer Art unsichtbarer Tinte unter die Haut tätowiert worden war. Sie dachte an die Stempel, die in Diskotheken und Freizeitparks benutzt wurden. Wer Eintritt bezahlt hatte, bekam eine unsichtbare Markierung auf die Hand gedrückt. Ging die Person dann hinaus und kam später wieder zurück, beleuchtete man die Hand mit Schwarzlicht. Dadurch wurde der Stempel sichtbar, und das Personal an der Tür wusste, dass die Person bereits bezahlt hatte. Die Tinte wusch sich nach und nach ab und verblasste. Doch hier war die Tinte in die Lippe eintätowiert. An einer versteckten Stelle.
Coop kam zum Tisch zurück, beugte sich über die Leiche und ließ sich von Darby die Tätowierung zeigen. Gemeinsam überlegten sie, wie sie am besten zu fotografieren war.
«Dafür haben wir nicht die richtige Ausrüstung», sagte Coop.
«Wie spät ist es?»
«Viertel vor sechs.»
«Ruf Ops an. Die sollen die ID -Abteilung verständigen.»
Vom Wandtelefon des Autopsieraums aus rief er die Koordinationsstelle an – genannt
Operations
oder einfach kurz
Ops
. Die Bostoner Labortechniker und die Techniker der ID -Abteilung, die für forensische Fotografie zuständig war, mussten in einem bestimmten Umkreis von Boston wohnen, damit sie binnen einer Stunde an jedem Tatort im Stadtbezirk oder in einem Labor sein konnten.
Dr. Perkins bat Darby höflich beiseitezutreten. Dann packte er mit einer Pinzette eine kleine braune Spinne, die gerade aus dem Mund des Opfers floh.
60. Kapitel
Coop half ihr, die Vorderseite des Torsos der Leiche zu fotografieren, die Wunden in ein Diagramm einzutragen und einzeln auf verwertbare Spuren zu untersuchen.
Außer jeder Menge Fasern in den Wunden und am Körper fanden sie massenhaft Schmutzpartikel. Ein eingetrockneter weißer Klecks auf der Schulter des Opfers entpuppte sich als Kerzenwachs. Sie nahmen Blutproben und fertigten von allen Wunden detaillierte Zeichnungen an, aus denen ihre Position am Körper, ihre Tiefe und Größe zu entnehmen waren.
«Ich muss kurz einen Anruf machen», sagte Darby.
Sie nahm den Gesichtsschild ab und wählte die Durchwahl, die der Harvard-Professor ihr gegeben hatte.
«Professor Ross, Darby McCormick am Apparat. Wir hatten uns bereits unterhalten.»
«Ja. Ja natürlich. Der lateinische Spruch.» Der Mann klang, als kämpfe er mit einer schweren Erkältung. «Ich habe ein paar Dinge für Sie aufgeschrieben.»
«Angeblich soll der Spruch sich an jemanden richten, der bislang die Freuden des Lebens genossen hat und nun durch den Tod verwandelt wird.»
«Aus Sicht mancher Fachleute wäre das eine korrekte Interpretation. Sie vertreten die Meinung, dass der Tod höchstpersönlich mit diesen Worten die Menschen mahnt, die Annehmlichkeiten des irdischen Lebens zu schätzen. Andere Kenner der Materie sind hingegen der Ansicht, dass
Et in Arcadia ego
das
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