Zerstörte Seelen
Caseys Namen hatte sie gerufen. Ohne Ergebnis.
Sergey und das FBI suchten mit Sicherheit nach ihnen. Keats hatte gesagt, er müsse sie und den Ex-Profiler ausliefern. Sie und ihn im Tausch gegen Keats’ Sohn Luke. Sie wusste nicht, ob Casey ebenfalls einen GPS -Chip trug, aber in ihrem Arm steckte noch immer das kleine Implantat. Weil das FBI noch nicht da war, ging sie davon aus, dass ihr Signal nicht geortet werden konnte. Sie musste sich also irgendwo unter der Erde befinden. Aber wo? Ihr Gefängnis konnte überall sein. Zweifellos arbeiteten Sergey und seine Leute mit Hochdruck daran, sie aufzuspüren. Aber was war mit Keats passiert? Hatte man ihn verschont, damit er irgendeine ersponnene Geschichte erzählen konnte, wohin sie und Casey verschwunden waren? Oder hatte die Gruppe sich auch ihn geschnappt?
Darby lag im Dunkeln und stellte sich immer wieder dieselben Fragen. Sie hörte flüsternde Stimmen, die Gott um Hilfe und um Kraft anflehten. Gebete um Gnade und Vergebung. Die Stimmen verstummten nie.
Darby betete nicht. Sie saß auch nicht da und wünschte sich weit weg. Sie war hier, gefangen und sich nur einer Sache völlig sicher: Sie musste eine Möglichkeit finden zu überleben. Auf ein Wunder zu warten war sinnlos – retten konnte sie sich nur selbst.
Wie lange sie bereits hier angekettet war, konnte sie nur vage abschätzen. Seit mindestens 24 Stunden nahm sie an, vermutlich länger. Zwei, vielleicht sogar drei Tage. Die Dunkelheit lastete schwer auf ihr, und ihr Geist verlangte nach Antworten. Weil es keine gab, zeigte er die instinktivste menschliche Reaktion: Angst. Jedes Mal, wenn sie kam, ihr in den Magen fuhr, ihr in die Glieder kroch und die Kehle zuschnürte, versuchte sie nicht, sie zu verdrängen oder wegzureden, sondern lud sie zu sich ein.
Man hat mich in einem Verlies in Ketten gelegt – also fürchte ich mich. Ich bekomme weder Essen noch Wasser, ich bin hungrig und durstig – also habe ich Angst. Ich bin vollkommen nackt, und wenn sie kommen, werden sie mich quälen wie sie Mark Rizzo und Charlie und alle anderen vor ihnen gequält haben – also überfällt mich Panik. Ich will nicht gefoltert und verstümmelt werden. Ich will nicht leiden.
Aber die Folter hoben sie sich für später auf.
Der erste Teil ihres Planes bestand darin, ihr möglichst viel Angst einzuflößen und sie auf diese Art zu zermürben. Sie wollten, dass sie bereits gebrochen war, wenn sie kamen. Deshalb hatten sie sie hier im Dunkeln eingesperrt. Die Kleider hatte man ihr weggenommen, damit sie sich verletzlich fühlte. Essen und Wasser gab man ihr nicht, um ihren Geist zu schwächen. Und der gab sich nicht mit der Ungewissheit zufrieden, sondern beschäftigte sich, indem er sich alle erdenklichen Arten von Horrorszenarien ausmalte. Darby wusste das, und ihr war klar, dass sie sich wappnen musste. Sie musste ihre Kräfte einteilen und durfte den Verstand nicht verlieren. Angst benebelte das Gehirn, verstellte den Blick auf die Chancen, die sich vielleicht boten. Das hatte sie am eigenen Leib erfahren, als sie im Schreckensverlies des Travelers eingesperrt gewesen war. Damals hatte sie überlebt, und diesmal würde ihr das wieder gelingen.
Sie beschäftigte sich mit dem, was sie beeinflussen und kontrollieren konnte: mit ihrem Körper und ihren Gedanken. Sie hielt sich geschmeidig, machte Dehnübungen, Liegestütze und Sit-ups. Danach meditierte sie, damit ihr Kopf klar blieb.
Zeig keine Angst
, sagte sie sich immer wieder.
Genau das bezwecken sie, das treibt sie an. Was auch geschieht, gib ihnen nicht, was sie haben wollen. Behalt die Angst im Griff, und finde einen Weg hier heraus. Diese Leute sind keine göttlichen Wesen. Sie bluten genauso wie wir alle.
Der Erste kam, als sie gerade schlief. Das Geräusch eines Schlüssels, der sich in einem Schloss drehte, ließ sie aufschrecken. Als die Tür sich öffnete, setzte sie sich auf.
Die Schritte waren fast geräuschlos.
Barfuß
, dachte sie.
Sie blieb stocksteif sitzen, hörte das Klirren von Ketten.
Dann war es still.
Plötzlich war das Klirren direkt an ihrem Ohr.
Klink, klink …
Sie bewegte sich nicht.
Dann direkt vor ihrem Gesicht. Sie spürte warme Tropfen auf dem Bauch.
Das Herz hämmerte in ihrer Brust, während etwas Kaltes, Hartes und Nasses an der Innenseite ihres Oberschenkels nach oben glitt. Sie bewegte sich nicht, und es wanderte weiter über ihren Bauch, ihre Brust, über die Schulter und verschwand.
Die Tür schloss sich,
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