Zerstörte Seelen
Dann verließ sie mit der Tüte die Wohnung.
24. Kapitel
Darby bog im Erdgeschoss um die Ecke. An die Tür der unteren Wohnung klopfte sie noch nicht. Vorher hatte sie noch etwas zu erledigen.
Sie nahm die Treppe runter in den Keller. Unten ging sie geduckt unter den Balken und Rohrleitungen hindurch, vorbei an der Gemeinschaftswaschmaschine und dem Trockner zu der Ecke, wo die großen Mülltonnen standen, in denen die Woche über der Müll gesammelt wurde.
Sie fischte die zusammengefalteten und in ein Papierhandtuch gewickelten Seiten aus der Mülltüte, steckte sie in die Innentasche ihrer Jacke und knöpfte sie zu. Dann warf sie ihren Müll weg.
Jetzt war die Jacke an der Reihe.
Sie hatte nur zwei im Schrank: diese Schott-Lederjacke, die sie fürs Motorradfahren gekauft hatte, und eine Jeansjacke, zu der sie sich von Coop hatte überreden lassen. Er behauptete, Jeansjacken seien wieder sehr angesagt. Darby breitete das Kleidungsstück auf der Waschmaschine aus, weil dort das Licht am besten war. Dann tastete sie den Futterstoff und das dicke schwarze Leder ab. Sie suchte nach einem Peilsender. Inzwischen gab es sehr unauffällige Geräte – etwa in der Größe einer Hörgerätbatterie. Ein Polizist aus Massachusetts hatte ihr einmal erzählt, wie die Drogenfahndung mit Hilfe eines Peilsenders einen Bostoner Dealer verfolgt hatte, der den Osten des Staates mit Kokain und Heroin versorgte. Der Dealer wusste, dass die Cops ihm auf den Fersen waren, fuhr deshalb zu den verschiedensten Parkplätzen und Tiefgaragen und wechselte immer wieder das Fahrzeug. Das funktionierte so lange, bis es einem verdeckten Ermittler gelang, den Wintermantel des Dealers in die Finger zu bekommen. Er schnitt an einer unauffälligen Stelle den Saum auf und steckte einen Peilsender hinein. Nun konnte der Dealer die Fahrzeuge wechseln, sooft er wollte. Der Peilsender schickte sein Signal zu den Laptops in den Streifenwagen der Cops. Wo er war, waren auch sie.
Darby bezweifelte, dass man sie hier beobachtete. Im Keller Kameras anzubringen wäre ein monumental aufwendiges Unterfangen gewesen. Eine Abhörvorrichtung war noch denkbar. Der Keller war klein und alt, und es gab jede Menge versteckte Ritzen und Nischen. Darby hatte bereits die gesamte untere Hälfte ihrer Jacke durchsucht und nichts gefunden. Vielleicht litt sie ja unter Verfolgungswahn.
Oder auch nicht. An der rechten Ecke des Schott-Etiketts hatte jemand etwa einen halben Zentimeter der Naht aufgetrennt. Man musste schon genau hinsehen, um das zu entdecken.
Eine Pinzette trug sie nicht bei sich, deshalb zwängte sie den Finger in die offene Stelle und riss dabei die Naht noch ein Stück weiter auf. Sie spürte etwas Hartes, Kaltes. Es dauerte einen Moment, bis sie es freibekam.
Zwei schmale Scheiben, jede von der Größe einer Uhrenbatterie, aber hauchdünn. Auf einer davon leuchtete ein winziges grünes Lämpchen, die andere musste die Batterie sein.
Für den Augenblick steckte Darby den Peilsender in die Tasche, dann ging sie zurück in die Eingangshalle. Sie musste ein paarmal an die Tür des unteren Apartments klopfen, bis jemand aufmachte.
Schließlich öffnete ihr ein großer, schlaksiger Collegeboy, der aussah, als wäre er eben einem J.-Crew-Katalog entstiegen: enganliegende Jeans, polierte schwarze Oxfordhalbschuhe und ein weißes Hemd unter einer dunkelblauen Strickjacke – Tim Sowieso, einer der beiden Mieter des Apartments. Netter Kerl, schüchtern. Verbrachte viel Zeit damit, seinem Haar den kunstvoll verwuschelten Out-of-Bed-Look zu verpassen. Er stammte aus einer kleinen Stadt in Colorado und studierte an der Suffolk University, deren Campus praktischerweise direkt gegenüber lag.
Tim schien ziemlich überrascht, sie zu sehen.
«Hey, Darby. Wie sieht’s aus?»
Sie lächelte. «Alles klar, Tim?»
«Alles klar. Alles in Ordnung.» Dann wurde seine Miene ernst. Er trat in die Eingangshalle und zog die Tür hinter sich zu. Das Wummern der Musik war nun nur noch gedämpft zu hören. «Bist du wegen des Lärms hier? Ich dachte, es wäre niemand zu Hause. Vin und Wendy sagten, sie seien den ganzen Monat weg – in der Schweiz oder so –, und Sue von oben meinte, sie wäre heute Nacht nicht zu Hause. Deshalb habe ich ein paar …»
«Keine Sorge.» Darby lächelte. «Ich wollte nur fragen, ob ich kurz dein Telefon benutzen kann. Mein Handy ist weg.»
«Klar. Kein Problem.»
Er griff in seine vordere Hosentasche. Die Musik klang nun melancholisch
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