Zerstörte Seelen
belauschen.»
Coop blätterte in dem unordentlichen Papierstapel herum. Darby ließ sich auf einen Stuhl fallen. Vor drei Monaten hatten diese Hände sie gehalten. Der Regen war auf den Gehsteig vor seiner Tür geprasselt, und er hatte seine Lippen auf ihre gepresst. Danach schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie erwiderte sein Lächeln. Dann murmelte er, er müsse los. Später, am Telefon, hatte er ihr gesagt, er würde nie zurückkommen.
Und doch saß er nun hier vor ihr. Es war ihr erstes Wiedersehen, seit er vor drei Monaten gegangen war – und ihre Freude und das erwartungsvolle Kribbeln ertranken langsam in eisiger Trauer. Darby wusste, dass er nicht um die halbe Welt geflogen war und sie aufgespürt hatte, um einfach nur Hallo zu sagen.
«Schau dir das an.» Er klatschte ein Blatt Papier vor ihr auf den Tisch. Das Geräusch holte sie aus ihren Gedanken zurück in den fensterlosen überheizten Raum mit den schmutzig weißen Wänden. Coops Atem roch schal, und seine Augen waren von dem Nachtflug gerötet.
Darby betrachtete den Laserausdruck. Vor ihr lag ein Foto des selbstgefälligen Army-Schnösels aus dem Labor der BU – des Mannes, der sie genötigt hatte, die Dokumente zu unterzeichnen. Billy Fitzgerald. Anstelle von Tarnkleidung oder einer Uniform trug er auf dem Bild Anzug und Krawatte.
«Du kennst ihn?»
Darby nickte. Für lange Erläuterungen fehlte ihnen die Zeit. «Genaueres erzähle ich dir später. Wer ist das?»
«Special Agent Sergey Martynovich, ein CASMIRC -Profiler.»
Darby versuchte vergeblich, die Abkürzung zuzuordnen. «Hilf mir bitte auf die Sprünge.»
«Child Abduction and Serial Murder Investigative Resources Center – eine Spezialabteilung des FBI , die bei Kindesentführungen und Serienmorden ermittelt.» Coop blätterte in den Unterlagen. «Ist dem NCAVC unterstellt.»
Noch eines dieser bürokratischen Abkürzungsungetüme. Aber wenigstens wusste sie diesmal, worum es sich handelte, das National Center for the Analysis of Violent Crime. Dort wurden Spuren und Daten von Kapitalverbrechen ausgewertet, es gehörte ebenfalls zum FBI und war der Einheit für Verhaltenswissenschaften unterstellt.
Coop legte einen weiteren Laserausdruck auf den Tisch. Er zeigte einen Mann in Jeans und einem schwarzen Shirt mit V-Ausschnitt auf einer sonnenbeschienenen Straße. Hinter ihm erstreckten sich sanft gewellte Felder und Wiesen. Er trug ein Schulterholster, aber keine Marke. Sein finsterer Blick schien direkt auf die Kamera gerichtet. Dem Gesichtsausdruck nach war ihm eine zentnerschwere Laus über die Leber gelaufen.
Zunächst erinnerte er Darby an Clint Eastwood in seinen besten Jahren: das kantige Kinn, der düstere Blick, die wegen des Sonnenlichts zusammengekniffenen Augen, dazu dichtes braunes Haar, das von der Stirn weg nach hinten gekämmt war. Doch der Mann auf dem Bild war blasser und deutlich muskulöser als die Schauspielerikone. Er hatte lange, kräftige Arme mit gestähltem Bizeps und hervortretenden Venen. Entweder er trug sein T-Shirt absichtlich so eng, dass die Muskeln seiner Brust und seiner Schultern sich darunter abzeichneten, oder er passte ganz einfach nicht in normale Kleidung. Außerdem war er ziemlich groß, zumindest schien es auf dem Foto so.
«Hast du den schon mal gesehen?»
Darby schüttelte den Kopf. «Nein. Nur Sergey Sowieso. Wer ist der hier?»
«Jack Casey.»
«Der ehemalige Profiler?»
Coop nickte. «Hat mit den Koryphäen aus der Gründerzeit der Einheit für Verhaltenswissenschaften zusammengearbeitet – Ressler, Douglas und wie sie alle heißen. Nach allem, was ich in den vergangenen zwölf Stunden über ihn gelesen habe, war Casey damals selbst eine Art Rockstar. Er hat an einigen ziemlich aufsehenerregenden Fällen gearbeitet. Zwei davon sind besonders bekannt.»
«Die Miles-Hamilton-Geschichte.»
«Bingo. Wusstest du, dass der Prozess gegen Baltimores Lieblingsserienmörder neu aufgerollt wird?»
«Weil das FBI bei der Beweissicherung gepfuscht hat.»
«Es wurde nicht gepfuscht, es wurde manipuliert.»
«Wer war das? Casey?»
«Er war an den Hamilton-Ermittlungen beteiligt. Das ging damals durch die Presse. Genauso wie die Tatsache, dass Hamilton Caseys Frau und ihr ungeborenes Kind getötet hat.»
«Ich erinnere mich. Casey musste an einen Stuhl gefesselt alles mit ansehen.» Darby sagte das mehr zu sich selbst als zu Coop. Der Hamilton Fall hatte damals die Schlagzeilen beherrscht. Nach und nach kam die Erinnerung an einige
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