Zerstörte Seelen
wäre naiv von Ihnen zu glauben, dass man Sie an der Ermittlung teilnehmen lässt.»
«Stimmt. Die Feds wollen mich nicht dabeihaben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sie ein Waschlappen und ein Loser sind.»
Lu erstarrte.
«Ich glaube, damit ist alles gesagt», erklärte Darby. «Geben Sie mir Bescheid, wenn mein Anwalt da ist.»
Lu rührte sich nicht vom Fleck. Frustriert und mit knallrotem Kopf stand er da und schien abzuwägen, welche Optionen ihm blieben. Dabei wusste er längst, dass er verloren hatte.
Einen Augenblick später wandte er sich um und gab einem der Wachhabenden ein Zeichen. Der Polizist schloss Darbys Zelle auf.
Lu schob sich ein Minzbonbon in den Mund. «Ihr Anwalt ist da.»
Darby schnappte sich ihre Jacke und folgte ihm aus der Arrestzelle durch ein Gewirr von Büronischen, in denen bereits Hochbetrieb herrschte. Überall klingelten Telefone, doch die Leute an den Schreibtischen, an den Eingängen der Nischen und sogar diejenigen, die an den Kaffeeautomaten auf der gegenüberliegenden Seite des stickigen Raumes herumstanden, unterbrachen ihre Tätigkeiten und Gespräche. Einige wagten nur einen raschen Blick, während andere sie ganz ungeniert anstarrten.
«Hier herein.» Lu hielt ihr eine grau gestrichene Tür auf.
Darby betrat ein kastenartiges Konferenzzimmer. Als sie sah, wer dort auf sie wartete, blieb sie wie angewurzelt stehen.
43. Kapitel
Ihr Anwalt, Martin Freedman, war ein gedrungener, rundlicher Mann mit Adlernase, Glatze und wirren graumelierten Haarbüscheln über den kleinen Ohren. Immer wenn Darby den Mann in seiner Kanzlei in der Bostoner Innenstadt aufsuchte, lagen seine mit den Leberflecken übersäten Hände auf der abgewetzten Lederaktentasche, die er bereits seit dem Studium mit sich herumschleppte. Wenn er lächelte, was er meistens tat, glänzten seine Kronen. Darby roch sein Aftershave immer schon von weitem und entdeckte auch stets ein paar Schuppen auf seiner maßgeschneiderten Anzugjacke.
Der Mann, der nun am Tisch saß, war groß, wirkte durchtrainiert und trug einen schwarzen Anzug über einem dunkelblauen Hemd ohne Krawatte. Er sah dem unverschämt gutaussehenden Quarterback der New England Patriots zum Verwechseln ähnlich, doch anders als Tom Brady hatte er kräftiges, aschblondes Haar und die faszinierendsten Augen, die Darby je gesehen hatte: eines war dunkelgrün, das andere blau.
Ihr früherer Partner, Jackson Cooper, erhob sich unsicher und mit schreckensweiten Augen. Darby war zunächst verwundert, doch dann fiel ihr ein, wie sie aussehen musste. Ihr Gesicht war von Glassplittern zerschnitten, die Wunden waren blutverkrustet. An der Vorderseite ihrer Kleidung klebte getrocknetes Blut, das sich inzwischen schwarz verfärbt hatte und teilweise abblätterte. Blut, Haut und Haare, vermutlich sogar Hirnmasse aus John Smiths Austrittswunde und noch mehr Blut aus den klaffenden Wunden von John Smiths Frau.
«Guten Morgen, Dr. McCormick», sagte Coop. «Ich gehe davon aus, dass die Verletzungen, die ich sehe, nicht von Ihrem Aufenthalt hier stammen.»
«Nein, keine Sorge.»
Zu Lu, der noch immer an der Tür stand, sagte Coop: «Sie können jetzt gehen, Detective.»
Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken. Coop musterte Darby besorgt.
«Da du aufrecht stehen kannst, nehme ich an, dass dir nichts fehlt – zumindest rein äußerlich.» Er sprach leise und schnell. «Was alles passiert ist, kannst du mir später erzählen. Setz dich. Wir haben nicht viel Zeit.»
«Wie hast du mich gefunden?»
«Leland.»
«Er hat dich
angerufen
?»
Coop schüttelte den Kopf. Er hatte sich wieder auf den Stuhl fallen lassen.
«Du hast mir eine Nachricht hinterlassen. Auf meinem Display war die Nummer des Labors.» Er zog ein dickes Gummiband von einer ramponierten Aktenmappe. «Also ging ich davon aus, dass deine Suspendierung aufgehoben wurde. Ich fuhr zum Labor und traf dort zufällig Leland. Zum Glück war er heute schon früher da. Er hat mir erzählt, was gestern Abend in Nahant passiert ist. Wir reden später darüber, wenn du mit deinem Anwalt gesprochen hast.»
«Er ist hier?»
Coop nickte. «Im Moment unterhält er sich mit Lu und dem Sergeant», sagte er. «Wir sind uns am Eingang über den Weg gelaufen. Ich erklärte ihm, wer ich bin, und sagte ihm, was mich herführt, und er stellte mich Lu als seinen Assistenten vor. Wir haben zehn Minuten. Setz dich, okay? Wahrscheinlich steht jemand vor der Tür und versucht, uns zu
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