Zerteufelter Vers (German Edition)
Aussage verweigern, ehe sie nicht zu ihm durfte; zu Kirt!
Und als hätten sie sich abgesprochen, ließ Kirt sich ebenso wenig erweichen, auch nur noch ein einziges Wort von sich zu geben, ehe er Gloria nicht wiedergesehen hatte. Gloria selbst fühlte sich nicht mehr lebendig ohne Kirt. Sie hatte sich fest vorgenommen, noch ein letztes Mal nach Weimar zu fahren, um ihren Vater zu besuchen. Doch alles war anders gekommen – sie besaß weder die Kraft dazu, noch die Möglichkeiten. Jedes Gefühl, alles Leben war wie abgeschnitten – ohne Kirt hatte Gloria schon jetzt aufgehört zu leben. Wieso stellte sich die ganze Welt gegen sie? Der Countdown hatte längst begonnen. Heute war der 13. Dezember!
Gloria saß in einem Raum der bekannten Polizeistation. Ein Tisch, zwei Stühle, ein Polizist, dem sie kein Gehör mehr schenkte… Er konnte sagen, was er wollte. Gloria hörte ihn nicht mehr. Stattdessen ließ sie immer wieder das letzte Gedicht Revue passieren, das sie im Gerichtssaal nicht richtig zu Ende gelesen hatte. Mittlerweile kannte sie es auswendig…
Bis zur letzten Sekunde
Wandernde Schatten, gleißendes Licht,
der Stolz in Dir zusammenbricht.
Falsche Gesichter, falscher Schein,
der Hölle dunkles Äugelein.
Liebe und Ehrlichkeit tragen fort den Sieg,
des Endes Schmerzen er in sich wiegt.
Kannst nicht verstehen ihn, allein voller Sorge,
zu viel geschehen an einem anderen Orte.
So will er nicht preisgeben, sein Geheimnis erstickt,
kämpfe – egal, ob die Uhr in dir tickt!
Mit der ersten Strophe waren sicher die Welten gemeint – oder vielleicht sogar Magnus; keine Ahnung! Darüber wollte Gloria sich nicht den Kopf zerbrechen. Die zweite Strophe war ihr schon lieber, auch wenn sie nicht mehr daran glauben konnte, was das Gedicht ihr versprach. Das einzige, was sie noch nachdenklich stimmte, waren die letzten Zeilen dieser Strophe: ‹Kannst nicht verstehen ihn, allein voller Sorge, zu viel geschehen an einem anderen Orte.› Sie konnte nachvollziehen, dass Kirt es für besser erachtet hatte, Gloria so wenig wie möglich von sich und seiner Herkunft zu erzählen. Doch wenn sie diese Zeilen las, fühlte Gloria sich so schuldig, dass sie sich wünschte, seine Sorgen überblicken zu können. Sie hatten sich eine so lange Zeit nicht mehr gesehen! ‹So will er nicht preisgeben, sein Geheimnis erstickt, kämpfe – egal, ob die Uhr in dir tickt!› Das hatte sie getan, doch was brachte es? Rein gar nichts!
»Frau Truhst?« Gloria schenkte dem Polizisten keinen einzigen Blick. Ihr war alles egal! »Frau Truhst, hören Sie mich?« Gloria sah den Polizisten mit leerem Blick an. »Haben Sie ein Auto oder sollen wir Sie fahren?« »Wohin?« »Zu Ihrem Freund…« Gloria sah entgeistert in das Gesicht des Polizisten. Sie hatte ihm wirklich nicht zugehört; die ganze Zeit. »Darf ich…?« Gloria traute sich kaum, weiterzusprechen… »Darf ich ihn besuchen?«
In Anbetracht der Tatsache, dass beide die Aussage gänzlich verweigerten und sich der Gerichtstermin näherte, gestand man ihnen eine Sonderbesuchserlaubnis unter Aufsicht zu. Gloria konnte kaum glauben, dass sie Kirt noch einmal sehen durfte. Sie sprang regelrecht auf, so dass der Stuhl nach hinten umfiel und bejahte die Frage des Polizisten, dass sie gerne zu ihm gebracht werden würde.
27 Das letzte Mal
Die letzte Tür öffnete sich und da stand er: Kirt! Gloria stürzte auf ihn zu und begrub ihren Kopf in seiner Umarmung. Viel zu lange waren sie getrennt gewesen, viel zu lange hatte sie ihn nicht mehr gespürt. Tränen rannen über ihr Gesicht und ihre Arme krallten sich fest um seinen Hals. »Ich liebe dich!« Er hielt Gloria so fest, dass Kirt erst aufhörte, als er fürchtete, sie zu zerquetschen. »Ich dich auch.« Es war wie ein nicht mehr geglaubtes Geschenk. Heute war der 13. Dezember! Alles war egal – wenn nur er bei ihr sein konnte! Gloria ließ nicht mehr los und hielt sich immer enger an ihm fest.
Kirt küsste sie in den Nacken und an den Hals, seine Hände strichen ihr über den Rücken und schlossen sich erneut zusammen, um sie fest an sich zu drücken. Er wog sie in seinen Armen und löste schließlich irgendwann seinen Griff. Gloria spürte seine Lippen auf ihren und fühlte das Leben wieder in sich auflodern. Alle Hoffnung, alle Liebe – alles war wieder da. Sofort fühlte Gloria die leise Zuversicht, ein Leben lang mit Kirt zusammen sein zu dürfen. Doch dieses Leben sollte – so absurd es auch scheinen mochte –
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