Zerteufelter Vers (German Edition)
klammerte sie sich mit all ihrer Kraft an ihm fest. Zunächst ließ der sonst so strenge Polizist Kirt und Gloria gewähren, doch als sie ganze zehn Minuten überzogen hatten, wies er sie mit dunkler Stimme an, sich zu trennen. Es war das letzte Mal, es war furchtbar!
Tränenbäche quollen über Glorias Wangen und schließlich musste der Mann Gloria von Kirt lösen und sie aus dem Raum drängen. Dann schloss sich die Tür. Er war weg! Die zermarternde Ohnmacht tauchte Gloria augenblicklich wieder in die dumpfe Abgestumpftheit, die sich wie ein Teppich über sie legte und ihr jegliche Luft abschnitt. Wie in Trance beförderte der Polizist sie durch die Gänge. Eigentlich hatte er vorgehabt, mit Gloria selbst ein Gespräch zu führen, um weitere Details zu erfahren, doch seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass dies in jenem Zustand schierer Unsinn wäre.
Gloria war vollkommen aufgelöst. Sie verlor jegliches letztes Gesicht, das sie hatte wahren können. Alles war vorbei und der Polizist konnte nicht verstehen, dass Gloria derart die Fassung verlor. Sie jedoch in diesem Zustand einfach vor die Gefängnistür zu setzen, erschien genauso utopisch. Gloria war alles egal. Das Wiedersehen mit Kirt bildete ihr letztes Quäntchen Leben und es schien sich aufzulösen! Zerronnen, weggesperrt hinter dicke Eisentüren. Wie ein Bumerang traf Gloria plötzlich ein einzelner Vers des Buches: ‹Der Tod ist nicht gegen dich, soll er sich selbst beweinen?› Genau das war der Punkt. Und wie immer bei den Gedichten dieses Buches verstand Gloria erst viel später den Sinn der meisten Worte: Sie beweinte ihren eigenen Tod, ja. Aber es war der Abschied von Kirt, der ihr das Herz zerriss, nicht der Tod. Könnte sie ihn mit Kirt teilen, hätte sie sich darauf gefreut!
Der Polizist fuhr Gloria höchstpersönlich nach Hause. Er brachte sie sogar bis hoch in die Wohnung, weil er sich eine Wahrheit erhoffte, die er sonst nicht bekommen würde. Gloria steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte um und betrat die Wohnung. »Sind Sie gerade erst eingezogen?« Gloria drehte sich abwesend zu ihm um. »Was?« Der Polizist ließ einen Blick durch die karge Wohnung schweifen. »Ach so, ja.« Gloria ließ den Schlüssel auf die Anrichte in der Küche fallen, während der Polizist im Wohnzimmer stehen blieb. Sie ging zu ihm zurück und bedankte sich, während Gloria ihn jedoch gleichzeitig ins Treppenhaus verwies. Sie wollte die Tür gerade schließen, als er sich in den Rahmen stellte und Gloria eindringlich ansah.
»Wenn es etwas gibt, das ich für Sie oder Ihren Freund tun kann, dann lassen Sie es mich wissen!« Gloria schaute traurig in seine Augen, doch sie wusste nichts zu erwidern. Der Mann reichte ihr eine Visitenkarte. »Mir geht es um die Wahrheit, weiter nichts. Und ich weiß, dass Sie mehr wissen, als Sie bis jetzt gesagt haben!« Gloria nahm zögernd die Visitenkarte entgegen und nickte. »Rufen Sie mich an.« Gloria schaute skeptisch in die Augen des Mannes: Sie wirkten ehrlich. Gloria nickte erneut und schloss schließlich die Tür.
Es war spät, draußen herrschte Dunkelheit und Gloria schien erschöpft. Als erstes zog sie ihre Jacke aus, dann ließ sie sich aufs Bett fallen und schloss die Augen, bis sie schließlich das Buch hervorkramte. Wie in Trance blätterte sie die vielen Seiten durch, um nachzusehen, ob sich ein neuer Text gebildet hatte; und ja… Es gab einen! Augenblicklich durchstach Adrenalin ihren Körper. Gloria war plötzlich wieder hellwach und las die Zeilen des Gedichtes:
Gedenke mein
Opferstein, Totenschein,
Fels-, Zenit- und Mondgestein,
des einen lieblich Verselein,
des ander´n klaffend dunkle Pein.
Erdendasein, Urgestein,
willst Du flüchten vor dem Nein,
riefst herbei die Engelein,
wissen um dein Anderssein.
Fackelschein, Seelenpein,
suchst das Sinnbild insgemein,
lieblich reines Liedelein,
Tapferkeit begleite Dein!
Doch ehe Gloria sich auch nur annährend um den Inhalt dieser Verse kümmern konnte, fiel ihr etwas ganz anderes auf: Dieses war ganz offensichtlich der letzte Text, der ihr zuteil werden sollte… Wo vorher immer undurchsichtige Zeichen die nächsten Seiten geziert hatten, war nur noch Leere! Panisch blätterte Gloria die letzten, verbliebenen Seiten um – alles leer. Das hatte das Buch noch nie gemacht! Zermürbende Furcht durchzüngelte Glorias Kehle. Eigentlich änderte das nichts an dem, was sie ohnehin schon wusste. Aber aus irgendeinem Grund schnürte es ihr die Kehle
Weitere Kostenlose Bücher